Der Geist des Nasredin Effendi
zogen sie weiter, anderen Menschen dieses Glück zu bringen. Mein Vater half ihnen, und ich brachte Essen auf den Turm… Beim Abschied sagte er, er werde unbedingt wiederkehren, wir werden heiraten… Aber noch dürfe er die Truppe nicht im Stich lassen, sei verpflichtet.
Als es zu sehen war, zeigten die Leute mit Fingern auf mich, mein Vater jagte mich aus dem Haus…« Sie schwieg. Ihr Blick kehrte in die Umgebung zurück. Sie zupfte an einer Ranke wilden Weins, die sich um die Zaunlatten wand. »So ist das«, setzte sie dann hinzu. »Ich bin eine Verworfene…«
»Aber, Gusal, das weiß ich doch alles längst. Sie haben es mir sehr bald erzählt…«
»Eben…«, sagte sie in seine beschwörenden Worte hinein.
»Aber nach dem Gesetz, das weiß ich auch, hat das nichts zu bedeuten!«
»Und warum spricht man davon, tischt es einem auf, der dahergelaufen kommt, den es nichts angeht? Ist das nicht genauso, als wenn man mit Fingern auf mich zeigt?« Bitternis schwang in ihrer Rede mit. Aber sie fing sich schnell wieder. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Und wenn du wirklich mit der alten Zeit so verbunden bist, wie du sagst, mußt du mich hassen. Wenn nicht jetzt, dann später, dann, wenn du in dieser Welt heimischer bist, andere Frauen kennst, ohne Mal…«
Er legte abermals seine Hand auf ihren Arm. »Wir gehen fort«, es klang bestimmt, wie beschlossen. »Niemand wird erfahren dort an einem neuen Ort, daß Sewara nicht meine Tochter ist!«
»Sie würden Sewara als Ihre Tochter…«, fragte sie mit ungläubigem Staunen im Gesicht. Eine Blutwelle schoß darüber, und er bemerkte, daß sie abermals feuchte Augen hatte.
»Ich mag sie – wie dich!«
Sie rang unbewußt die Hände, biß sich auf die Lippen, Zeichen, daß sie einen Kampf mit sich austrug. Dann legte sie ihre Hand auf die seine, die noch immer auf ihrem Arm ruhte. Und sie sagte mit unendlicher Zartheit in der Stimme: »Laß mir Zeit, Nasreddin. Du überraschst mich. Ich habe nicht mehr damit gerechnet, daß ein Mann mich zu seinem Weib begehren könnte…« Sie sagte das stockend, als fiele es ihr sehr schwer. »Laß mir Zeit«, bat sie noch einmal. Dann löste sie sich von ihm und trat in den Hof, wandte sich ihm jedoch noch einmal zu. »Ich mag Sie, Nasreddin…« Und dann lief sie ins Haus.
Nasreddin aber machte einen Luftsprung. Das muß Glück sein, dachte er. Und er stieg auf seinen Esel, gab ihm die Fersen. Der Mann ritt ziellos durch die Felder, mal sang er ein Liedchen, mal nickte er einem Vogel zu, schnipste mit den Fingern, kurz, er befand sich in einer Hochstimmung, die immerwährend der eine Satz in ihm aufrechterhielt: Sie mag mich… Alles andere schien ihm unkompliziert und schnell lösbar. Er dachte überhaupt nicht mehr daran, daß er von seinen seit mehr als zwanzig Jahren geprägten Prinzipien abwich, unabhängig, ledig zu sein… Seit zwanzig Jahren? Nicht seit fünfhundertzwanzig? Er lachte. Pfeif auf die Prinzipien! Werden sie nicht wie vieles in dir von der Umwelt geprägt? Warum wollte ich frei sein? Unabhängig? Weil die Zeiten unsicher waren, weil ich zuviel Elend um mich sah. Hatte man ein Weib, kamen bald Kinder. Und mein Gott, was ist das Ein
kommen eines Chodschas! Prinzipien übertünchen Schwächen und Nöte, sind ein anderes Wort für den Hader mit der Umwelt. Und ist es nicht Allah, der Allwissende, Allsehende, der mir den Weg weist? Er lächelte vor sich hin, empfand er doch selbst, wie außerordentlich bequem dieser moslemische Standpunkt war. Du bist für nichts selbst verantwortlich, was du tust, ist vorbestimmt. Ob du ein glücklicher oder trauriger Mensch bist, liegt in der Hand Allahs… Na, Nasreddin? Und was du um dich siehst? Weshalb sollte Allah die vielen Ungläubigen eigentlich zu vom Grund her glücklichen Menschen machen? Das ist schwer zu begreifen…
Für sich beschloß er jedenfalls, von diesem Tag an zu den glücklichen Menschen zu zählen…
Nasreddin ließ sich an einer Buschgruppe auf einem schattigen Plätzchen ins Gras gleiten. Mit abgespreizten Armen und Beinen lag er. An einem Grashalm kauend, sah er hinauf in den wolkenlosen graublauen Himmel. Neben ihm fraß einschläfernd der Esel.
Der Unfall
Noch im Unterbewußtsein wußte Nasreddin, warum jemand, um ihn zu wecken, diesen barschen Ton anschlug. Er hatte vergessen, daß er sich verpflichtet hatte, in der zweiten Schicht an diesem Tag die Säcke mit einzufahren.
Kein anderer als der Vorsitzende selbst stand
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