Der Geist des Nasredin Effendi
jeden Zartgefühls. Mit sanfter Gewalt drehte er Gusal zu sich, hob am Kinn ihr Gesicht empor, zog die Willenlose an sich und drückte ihr einen Kuß ins Haar. »Du bist ein dummes Weib«, sagte er zärtlich. »Denkst du, Nasreddin, der Unruhige, wäre noch auf diesem von Allah mit diesem Vorsitzenden gestraften Kolchos, wenn es hier nicht gleichzeitig für ihn etwas gäbe, was mehr labt als alle Bergquellen der Welt, was schöner blüht als alle Baumwollsträucher Usbekistans? Spürst du nicht, du Blinde, wie Allah bei jeder Gelegenheit mich deinen Weg kreuzen läßt, meine Blicke auf dich lenkt?« Er ließ ihre Schultern los, gab sie frei. »Ich scherze nicht«, sagte er mit allem Nachdruck.
Gesenkten Hauptes, wie in Gedanken das Gesichtstuch wieder hochnehmend, wandte sie sich langsam zum Gehen. Er schritt neben ihr, zweifelnd und hoffend, in einem elenden Widerstreit der Gefühle. Er überlegte auch, ob er nicht etwa dümmer als sein Esel sei, und einen Augenblick dachte er sogar, daß es dazu nicht viel bedurfte. »Geben Sie mir ein Zeichen«, flehte er. »Es wird mir sagen, ob ich stehenden Fußes aufbreche oder Allah mich hier als seinen glücklichsten Sohn verweilen läßt…« Er hatte sie nicht angesehen, als er das sagte, ging wie sie, den Blick zur Erde… Doch da fühlte er sich plötzlich umfaßt, fühlte ihre Lippen auf den seinen, sich losgelassen…
Bevor er wieder einen Gedanken fassen konnte, sah er sie leichtfüßig fortlaufen, und ihm war, als töne aus ihrer Richtung ein leises, frohes Lachen…
Die nächsten Tage wich Gusal Nasreddin aus, schlug eine andere Richtung ein, schon wenn sie ihn von weitem sah. Sie zur Rede zu stellen, verboten Nasreddin der Anstand und seine strenge islamische Erziehung, wenngleich er manchmal spürte, daß diese nicht mehr so recht in dieses Leben paßte. Zusammenreimen konnte er sich das alles nicht, aber ihr Kuß hatte ihn ermutigt.
Alle Zweifel beiseite schiebend, machte er sich am dritten Tag nach diesem denkwürdigen Nachmittag auf, um nach seinem Esel zu sehen, wie er Igor Josephowitsch lauthals mitteilte, wie um sich vor sich selbst zu rechtfertigen.
Er hatte es so eingerichtet, daß er vor Gusals Feierabend das Anwesen erreichte, sie also, an den wieder stabilen Zaun gelehnt, erwartete. Als sie ihn erblickte, verhielt sie den Schritt, blieb sogar einen Augenblick unschlüssig stehen. Doch dann kam sie, den Blick auf den Boden geheftet, entschlossen näher. Er trat auf sie zu, reckte ihr die Hand entgegen – nach der neuen Sitte, wie er meinte erkannt zu haben – und rief mit gemachter Munterkeit: »Guten Abend, Gusal!«
Sie erwiderte den Gruß mit einer leichten Verbeugung, ohne ihn jedoch dabei anzusehen: »Guten Abend, Genosse Anoraew.«
Ohne seinen Tonfall zu ändern, schwatzte er weiter: »Ich habe gestern abend Sewara geschrieben und ihr mitgeteilt, daß Sie ihr die Tracht schicken würden. Nun möchte ich natürlich nicht als Schwindler dastehen und mich erkundigen.«
»Sie ist weg«, erwiderte sie. Einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Da legte sie die Hand auf seinen Arm und sagte ruhig: »Sie dürfen nicht mehr kommen.« Wieder senkte sie den Blick. »Sie quälen mich. Nehmen Sie Ihren Esel und gehen Sie…«
»Aber warum denn?« fragte er erstaunt. Er faßte nach ihrer Hand, die auf einer Zaunlatte lag.
Sie entzog sie ihm sacht. »Frauen wie mich meidet man!« antwortete sie schroff. »Sie sind Moslem. Eigentlich brauchte man das Ihnen nicht zu sagen.«
»O Allah – sag diesem störrischsten aller Weiber…«, und er wandte das Gesicht nach oben, breitete die Arme, und es entbehrte nicht der Komik, als er beschwörend rief: »daß ich das alles selber weiß, sage ihr, daß sie sich nicht in meine Angelegenheiten mischen soll, wenn ich deine Gebote nicht achte. Aber sage ihr auch, daß ich sie liebe und du in deiner Großmut deinem unwürdigen Sohn Nasreddin verzeihst, daß du uns segnen wirst. Sag ihr das alles, großmächtiger Gott, der du die Wasser bergauf fließen und die Vögel wie Wühlratten in der Erde graben lassen kannst!«
Eine Sekunde lang lächelte sie. Dann wurden ihre Züge wieder ernst. Sie drückte ihren Körper an den Zaun, ihr Blick verlor sich ganz weit im fernen Horizont. Und sie begann leise: »Er bohrte nach Öl, hier am Rande der Wüste. Öl fanden sie nicht, aber Gas… Als sie es in ihren Rohren gebändigt hatten, es in unsere Häuser floß – das dauerte über zwei Jahre –,
Weitere Kostenlose Bücher