Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
machte Nasreddin seine erste, nachhaltige und unmittelbare Bekanntschaft mit dem elektrischen Strom.
    Es geschah alles auf einmal. Er bekam einen Schlag, der ihm so gewaltig durch den Körper fuhr, daß er meinte, Allah selbst habe ob seiner Lästerungen aus heiterem Himmel einen Blitz auf ihn geschleudert. Eine Funkengarbe flog auf, es knatterte, die Maschinerie fuhr an. Gleichzeitig schrie oben auf dem Schober der Kollege auf. Er hatte es sich offenbar genau dort bequem gemacht, wo das Rohr ausblies. Der in ein Röcheln ausklingende Schrei deutete darauf hin, daß sich der Mann nunmehr unter einem baumwollenen Berg hervorzuwühlen hatte.
     Aber damit nicht genug. Nasreddin war seitwärts ausgewichen, hatte mit der freien Hand haltsuchend um sich gefuchtelt, dabei als trügerische Stütze den Keilriemen erwischt, der seine Linke auf das Treibrad des Ventilators und um dieses herum zog. Der Schmerz nahm Nasreddin fast die Sinne. Wieder freigekommen, torkelte er rückwärts, strauchelte in die Baumwolle hinein und stürzte.
     Er benötigte eine Minute und mehr, um sich zu besinnen. Die Hand schmerzte höllisch, und noch saß ihm der Schreck von dem Stromstoß im Leib.
     Wenig später fing der Arbeitskollege vom Schober herab an zu schimpfen, was das Zeug hielt. Dazwischen spuckte er Baumwollfasern.
     Stöhnend kam Nasreddin auf die Beine. Seine linke Hand konnte er nicht bewegen; sie hing wie nicht zugehörig am Arm.
    Zwar noch immer, aber nun in einer anderen Tonart zeternd, kam der andere behend herab, als er Nasreddins Mißgeschick gewahrte. »O Allah«, räsonierte er, »was bist du nur für ein Kamel!« Bedenklich betrachtete er die Hand, schaltete mit größter Vorsicht und unter Zuhilfenahme eines Stückes Holz den Exhaustor ab, nahm Nasreddin an der gesunden Hand und zog den leicht Widerstrebenden zu einem Schleppdach, unter dem zweirädrige Fahrzeuge abgestellt wurden. Hier trat er eine über und über mit Lehm bespritzte und auch sonst ziemlich ramponierte Jawa an, die erstaunlich schnell ansprang, und hatte dann wieder Schwierigkeiten, Nasreddin auf den Soziussitz zu bekommen. Vor Angst vergaß jener seinen Schmerz. Er klammerte sich mit der gesunden Hand so an den Leib des Gefährten, daß dieser ihn mahnen mußte, ihm nicht die Rippen einzudrücken. Schließlich setzte sich das Gefährt in Bewegung, der defekte Auspuff verursachte ein ohrenbetäubendes Knattern.
     Nasreddin legte die Wange an den Rücken des Vordermanns, biß die Zähne zusammen, nicht nur vor Schmerzen, kniff die Augen zu und ergab sich in sein Schicksal.
     Später, als sie schon einige Minuten fuhren, faßte er wieder ein wenig Mut. Er öffnete die Augen, ohne jedoch seine Haltung aufzugeben. Sie durchquerten gerade den Kischlak. Und an der Herberge stand ein rotes Auto, daneben aber, durch dieses zum größten Teil verdeckt, eine junge schlanke Frau mit schwarzem Haar und einer riesigen Sonnenbrille. Und ihm war, als lächle sie ihm zu.
     Dies war vorläufig das letzte, was Nasreddin wahrnahm. Er spürte noch, wie er plötzlich angehoben wurde und nach einem gewaltigen Stoß durch die Luft flog – ein harter Aufprall, schwarze Nacht.

    Als Nasreddin zu sich kam, brauchte er eine Weile, um sich einigermaßen zurechtzufinden. Der erste Eindruck: Alles um ihn herum strahlte in Weiß. Er lag in einem weißen Bett, die Wände des Raumes waren weiß und weiß der Arm, der klobig vor ihm lag, sein Arm, wie er alsbald an einem dumpf schmerzenden Klopfen darin merkte.
     Während er den Kopf wandte, spürte er, daß auch mit ihm irgend etwas geschehen sein mußte. Er schmerzte, und ein Pflaster kratzte am Kissen. Aber irgendwie fühlte er sich erleichtert, als er neben sich noch zwei Betten mit anderen Patienten gewahrte. In dem einen erkannte er seinen Arbeitskollegen, der ihn wegen der lädierten Hand zum Arzt fahren wollte. Sichtlich erleichtert lächelte dieser ihm zu, er hob sogar eine Hand zum Gruß, ein Bein – ebenfalls in einem dicken weißen Verband – hing in einer Schlinge.
     »Was ist geschehen?« fragte Nasreddin kleinlaut. Das Sprechen fiel ihm nicht leicht.
     Der neben ihm zog die Mundwinkel nach unten. »Als wir um die Kurve kamen, sah ich etwas Weißes, eine Gruppe Gänse vielleicht. Ich wollte ausweichen, aber…«, er gestikulierte mit der Hand, »der Baum wollte das nicht, und so sind wir statt mit meinem alten Motorrad mit einem komfortablen Wagen hierhergekommen. Das Rad ist natürlich kaputt.« Er sprach

Weitere Kostenlose Bücher