Der Geist des Nasredin Effendi
der flachen Hand über die holprige Oberfläche des Behältnisses. Und dann begann sie mit großer Sorgfalt die angeflachten Haken des He begeschirrs in die gemeißelten Ritze zu schlagen. Danach überlegte sie, ob sie Manns genug sei, den Flaschenzug allein zu betätigen und den Deckel hinwegzuhieven.
Die Vernunft siegte. Zu groß war das Risiko. Mit bewußt gedämpf ter Eile zwängte sie sich durch den Einstieg, schloß abermals geblen det die Augen und genoß wohlig die Wärme. Dann setzte sie sich auf den Rand der Gewölbemauer, legte die Hände trichterbildend an den Mund und rief langgezogen: »Hallo.« Sie mußte das einigemal wie derholen, bis sich der erste Kopf, der von Ilja Iljitsch Won, über den Rand seiner Arbeitsstätte emporreckte.
»Ko mmt!« rief Anora, streckte die Arme weit hoch und wippte winkend mit dem gesamten Oberkörper.
Ilja wandte sich um und rief seinerseits etwas. Langsam kroch Ali scher Boderow aus dem Schacht. Ihm folgte an anderer Stelle Wladi mir Petrowitsch Isakow. Sie klopften Staub aus ihren Kleidern und kamen nicht eben eilig auf Anora zu.
Als sie sich in guter Hörweite befanden, sagte sie laut und gespielt obenhin: »Ich bin soweit. Wir können aufmachen.« Sie bemühte sich, nicht erregt zu wirken. Es klang, als bemerke sie, daß es wiederum ein heißer Tag sei.
Anora lächelte in sich hinein, als sie die Gesichter der Gefährten aufmerksam betrachtete: Sie taten, als ginge es tatsächlich lediglich darum, dem nicht gerade kräftigsten Mitglied der Gruppe, Anora, einen Gefallen zu tun. Aber wie sie sich bewegten! Steif, die Neugier mühsam gezügelt. »Wieso sind Sie schon soweit?« fragte Boderow.
Anora zuckte wie gleichgültig die Schultern. »Wenn sich bei Ihnen nichts tut. Sie wollten doch nachmittags aufmachen. Und da dachte ich eben, legst ein wenig zu…« Aber dann mußte sie doch lachen und ließ sich in die Öffnung gleiten. Damit der nächste ihr folgen konnte, begab sie sich in den äußersten Winkel der Kammer, daß Platz blieb.
Schließlich stand sie gebückt am Sarkophag. Wladimir Petrowitsch hielt die Eingangsmatte gefaßt, sah in die Runde und sagte: »Na dann…«, und er begann mit der anderen Hand lässig an der Kette zu ziehen.
Nur das Schnurren der Rücklaufsperre ließ sich vernehmen und ein Knirschen, das zeigte, daß sich die Haken in den Ziegeln festfra ßen. Fast unmerklich erzitterte das Gemauerte. Vier Händepaare griffen in den Spalt zwischen den Haken. Worte wurden überflüssig. Jeder wußte, worauf es jetzt ankam. Ein zerberstender Deckel konnte alle Mühe, alles Hoffen zunichte machen. Stoisch, aber nun voller Aufmerksamkeit und gekonnt gleichmäßig zog Wladimir an der Ket te. Langsam klaffte der Spalt auseinander, handbreit.
» Jetzt«, ordnete Boderow konzentriert an. Die Kette verstummte. Die Hände griffen fester in die Ziegel.
»Ac htung«, sagte Ilja. »Ich lasse los.« Er langte nach den bereitge stellten Brettern, schob sie äußerst vorsichtig in den Spalt, ordnete sie überaus sorgfältig so an, daß sie den unteren Teil des Behältnisses fast vollständig verdeckten. Erst als er zurücktrat, lockerten die an deren ihre krampfigen Griffe.
»Na ch rechts ab«, befahl Boderow.
Anora und Malinkin traten zurück. Ilja und Boderow stemmten sich auf der gegenüberliegenden Seite gegen das schwebende Ober teil. Schneller ließ nun Wladimir die Kette durch seine Hände laufen. Langsam verschob sich die Symmetrie des Sarkophags. Als der De ckel zur Hälfte über das Unterteil hinausragte, zog Wladimir, ohne einen Befehl Boderows abzuwarten, in entgegengesetzter Richtung bis der Deckel wieder aufsetzte und die Ketten erschlafften. Ilja löste die Haken auf der linken Seite, Boderow stützte sich auf das Ü berkragende, brachte den Deckel aus dem Gleichgewicht, die anderen faßten zu, und langsam ließen sie ihn nach rechts zu Boden gleiten. Dann lehnte sich knirschend und bröckelnd Mauerwerk an Mauer werk, und es wurde Ruhe.
Eine Weile verhielten sie verschnaufend, dann begann Malinkin die Bretter abzuheben, bemüht, die darauf liegenden Krümel nicht abzuwerfen. Keiner schaute auffällig auf das, was Malinkin so Stück für Stück freilegte. Es war, als zögere jeder den Augenblick, in dem sich der Mühe Lohn offenbaren würde, bewußt hinaus. Nur Anora machte einen langen Hals, versuchte die Dunkelheit da unten zu durchdringen. Und dann ließen auch die anderen ihr Gehabe. Sie konnten sich dem nicht
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