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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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das Unverständnis in den Blicken. Und ein wenig verschämt fügte sie hinzu: »Unser…, der Gärtner meines Vaters… «
     Als der Name fiel, richtete Nasreddin sich erneut auf, sah die Sprecherin durchdringend an, einen Augenblick nur. Sie lächelte zurück, unterbrach sich eine kleine Weile.
     Schließlich sank Nasreddin wieder in sich zusammen, mindestens jeder vierte Moslem heißt Omar. Aber es fiel ihm schwer, in diesen Zusammenhängen an einen Zufall zu glauben. Hatte sie ihn nicht mit dem Namen angesprochen in der Sekunde der Überraschung. Und wer hatte ihm diesen Namen gegeben?
     Trotz Nasreddins Regung hatte die Frau den Faden nicht verloren, sie fuhr fort, das Lächeln verlor sich aus ihrem Gesicht.
      Boderow war der erste, der den Bann brach. »Das ist wohl schlech terdings nicht möglich«, bemerkte er sarkastisch.
    » Schon wahr…«, bestätigte Anora abwesend. Bei genauerem Hin sehen bestand die Ähnlichkeit nur auf den ersten Blick. Dieses Ge sicht eines Mannes – vielleicht in den Vierzigern, aber da konnte man sich sehr täuschen – trug nicht die schwachsinnigen, leicht mongoloiden Züge Omars. Man konnte eher etwas Verschmitztes hineindeuten, soweit es die Schrumpeln und das wächsern Tote es zuließen. Im Gegensatz zu dem der Dame hatte man dieses männli che Gesicht nicht mit Henna geschminkt. Ihm sah man das Mu mienhafte weit mehr an als ihr.
      Und da keimte ein Wunsch in Anora auf. Sie sah hoch, von einem zum anderen, wagte jedoch nicht, ihn auszusprechen.
      Ganz plötzlich entbrannte der Meinungsstreit. Mutmaßungen zur Identität der Frau sprangen auf, Spekulationen.
      Der Fund beeindruckte außerordentlich, auch weil es sich um eine Frau, eine vielleicht fünfundzwanzig- bis dreißigjährige schöne Frau handelte, und gewiß um eine, die den Herrschenden sehr nahege standen hatte, wenn nicht zu ihnen gehörte. Unter den fünf Men schen keimte eine Ahnung auf, vielleicht doch etwas Bedeutendes entdeckt zu haben. Schon die Frage, ob man die Tote bewußt mumifi ziert hatte, erregte die Gemüter. Im Islamischen durchaus unge bräuchlich, würde das allein schon auf eine Besonderheit hindeuten. Natürliche Ventilation wie bei den Mönchen aus Brno? Kaum. Es müßten dann viel deutlichere Anzeichen des Austrocknens vorhan den sein. Aber darüber würde eine exakte wissenschaftliche Analyse endgültigen Aufschluß bringen. Wesentlicher blieb die Frage, warum enthauptet, was sollte der Kopf im Sarg, und weshalb eine herrschaft liche Bestattung?
    Isakow entwickelte lautstark die These, die Frau sei in Ungnade ge fallen aus irgendeinem Grund. Mit dem Enthaupten pflegte man damals schnell bei der Hand zu sein. Aus einer gewissen Ehrerbie tung habe man ihr den Kopf des Leibeunuchen beigegeben.
      Eine Weile stritten sie über diese Ansicht. Es sei unüblich gewesen, den Toten Grabbeilagen mitzugeben oder gar Opfer solcher Art, gab Malinkin zu bedenken.
     »Was wissen wir schon, was in diesen Herrscherköpfen, überhaupt in denen der damaligen Menschen vorging? Wer sagt, daß sich nicht einer vom Üblichen abhob oder abheben wollte, vielleicht sogar ein pathologischer Fall, also etwas tat, was heute nicht in unser Bild paßt? Wer weiß, wie oft in der Geschichtsdeutung aus der Laune eines Despoten heraus eine ganze Lehre entstanden ist…« Ilja Il jitsch Won winkte ab.
    Wieder kabbelten sie sich hin und her.
      Dann sagte Anora: »Was halten Sie von der Version: Sie…«, Ano ra zeigte mit gerecktem Finger nacheinander auf die Frau und den Kopf, »im Harem des Herrschers, vielleicht seine Lieblingsfrau – und er: der Liebhaber oder Geliebte. Das motiviert alles. «
      Malinkin schüttelte den Kopf. »Solche Frauen bekamen kein Eh renbegräbnis. Sie wurden meist grausam mit Schimpf und Schande gerichtet. Noch neunzehnhundertvierzehn hat man ein junges Mäd chen, weil es einen anderen als den vom Vater Auserwählten liebte, bis zur Brust eingegraben und gesteinigt – hier in Chiwa! «
     »Es gibt aber auch andere Beispiele.« Anora behauptete ihren Standpunkt. » Freilich – Verfehlungen wurden gesühnt, und meist: Kopf ab. Aber dennoch: Wenn die Sünder einflußreichen Kreisen angehörten – denken Sie an Ulug Beg – oder, wenn wie vielleicht hier in diesem Fall, der Gemahl die Frau über den Fehltritt hinaus liebte, ihr verzieh… Das soll es alles geben!« fügte sie mit Spott hin zu.
    Dann stellte Boderow die notwendige Sachlichkeit wieder her. Er brach die Diskussion ab.

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