Der Gejagte
wieder
gelang es ihm nicht.
»Ihr schweigt«, sagte Romegas mit einem Nicken und in einem
Tonfall, als hätte er genau diese Reaktion erwartet - oder erhofft.
»Nun gut. Aber lasst mich Euch warnen. Ihr mögt ein harter Mann
sein, Andrej Delãny, sicherlich der zäheste, dem ich je begegnet bin -
doch wir kennen Mittel und Wege, selbst jemanden wie Euch zum
Reden zu bringen.«
Statt zu antworten, sah Andrej stirnrunzelnd an sich hinab. Er hatte
sich nicht getäuscht: Unter der Decke, die jetzt in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden neben dem Tisch lag, war er vollständig
nackt gewesen. »Was soll denn das?«, murmelte er, immer noch eher
verwirrt und verständnislos als tatsächlich besorgt. Dabei hatte er das
sichere Gefühl, dass er allen Grund hatte, besorgt zu sein.
»Oh, das«, sagte Romegas und machte eine wegwerfende Bewegung. »Bitte verzeiht meine Neugier. Ich wollte Euch wirklich nicht
zu nahe treten, Chevalier de Delãny. Ich konnte nur einfach der Versuchung nicht widerstehen. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, was
Ihr unter der Uniform verbergt, die Ihr seit drei Jahren so schamlos
besudelt.«
»Wenn Ihr nach Pferdefuß und Schweif gesucht habt«, antwortete
Andrej, »dann muss die Enttäuschung wirklich groß gewesen sein.«
Er zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen und versuchte zugleich,
seine Unterarmmuskeln so anzuspannen, dass Romegas es nicht sah.
»Es wäre einfacher, wenn Ihr mir schlichtweg die Fragen stellt, die
Euch so sichtlich auf der Zunge brennen. Oder seid Ihr nur zornig,
weil ich Recht hatte und Euer wahnsinniger Angriff in einer Katastrophe geendet hat?«
»Woher wisst Ihr das?«, schnappte Romegas.
»Ich wusste es nicht«, antwortete Andrej. »Aber Eure Reaktion beweist mir, dass ich Recht hatte. Wie viele Männer habt Ihr verloren?
Fünfzig? Hundert?«
»Etwas weniger als fünfzig«, antwortete eine Stimme von der Tür
her. Andrej sah sich überrascht um. Romegas fuhr mit einer wütenden Bewegung herum und griff nach dem Schwert an seiner Seite,
zog die Hand aber dann erschrocken wieder zurück, als er die beiden
Männer erkannte, die unbemerkt hinter ihm eingetreten waren. »Und
an die zweihundert wurden verletzt«, fuhr Sir Oliver Starkey ungerührt fort. »Die Hälfte von ihnen so schwer, dass sie wohl die nächste
Woche nicht überleben werden.«
»Was geht hier vor?«, fragte La Valette scharf. Er war hinter seinem Sekretär eingetreten, jedoch direkt unter der Tür stehen geblieben. Das gelbe Licht, das vom Vorraum hereinfiel, ließ ihn einen
riesigen, monströs verzerrten Schatten werfen, der sich wie eine lautlose Drohung nicht nur über Romegas, sondern auch über einen Teil
des Tisches und Andrej legte. »Wer hat Euch befohlen, Chevalier
Delãny zu binden und hier herunterzuschaffen? Derselbe, der Euch
diesen vollkommen wahnsinnigen Angriff befohlen hat, nehme ich
an?«
Romegas rang sichtbar nach Worten, fand seine Fassung aber erstaunlich rasch wieder. Ein Ausdruck von Trotz erschien auf seinem
Gesicht. »Immerhin war es ein Sieg«, sagte er. »Wir haben die Türken verjagt. Nach dem, was mir die Männer berichtet haben, waren
ihre Verluste dreimal so hoch wie die unseren.«
»Ein Sieg?«, wiederholte La Valette. Andrej konnte sein Gesicht
nicht erkennen, aber allein der Klang seiner Stimme verriet, wie
mühsam er um seine Fassung kämpfen musste. »Oh ja, zweifellos.
Ein triumphaler Sieg. Das Problem ist nur, dass wir uns Siege dieser
Art nicht besonders oft leisten können, Chevalier. Auch ich habe mit
den Rittern gesprochen. Sie sind in eine Falle gelaufen, die Mustafa
Paschas Truppen hinter den Hügeln für sie aufgestellt haben. Der
einzige Grund, aus dem überhaupt jemand zurückgekehrt ist, ist der,
dass die Türken die Kampfkraft unserer schweren Reiterei offenbar
unterschätzt haben. Doch der Fehler wird ihnen kein zweites Mal
unterlaufen.«
»Aber…«, begann Romegas und wurde diesmal von Starkey unterbrochen: »Genug! Genug von albernen Ausreden, Chevalier, und
genug von diesem unwürdigen Schauspiel! Nehmt Delãny die Fesseln ab und bringt seine Kleider her, und dann wartet draußen auf
uns!«
Romegas schluckte ein paar Mal. Sein Blick wanderte mit wechselndem Ausdruck zwischen Starkeys und Andrejs Gesicht hin und
her, aber schließlich drehte er sich um, zog seinen Dolch aus dem
Gürtel und durchtrennte mit zwei schnellen, wütenden Bewegungen
die Lederriemen, die Andrejs Hand- und Fußgelenke fesselten. Dann
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