Der Gejagte
war. Da
war noch mehr. Noch viel mehr.
»Dann ist es vielleicht besser, wenn Abu Dun und ich Euch jetzt
verlassen«, sagte er leise. »Ihr habt Recht, Sir Oliver. Gerüchte über
einen Mann, der von den Toten wieder auferstanden ist, sind im Augenblick das Letzte, was Ihr Euch leisten könnt. Sie würden hundertmal mehr Schaden anrichten, als unsere Schwerter Euch nutzen.«
La Valette und der Engländer tauschten einen raschen Blick. Offensichtlich hatten sie genau diese Reaktion erwartet.
»Selbst wenn wir Euch gehen lassen wollten, wäre das im Augenblick wahrscheinlich nicht mehr möglich«, antwortete Starkey
schließlich in einem bewusst leichten Ton. »Mustafa Paschas Truppen haben den Belagerungsring geschlossen. Seine Schiffe kreuzen
vor der Bucht und seit einer Stunde marschieren mehr und mehr
Truppen ringsum auf. Darüber hinaus… seid Ihr nicht der Meinung,
Ihr wärt uns für die letzten drei Jahre etwas schuldig? Ganz zu
schweigen von dem Dämon, den Ihr hierher gelockt habt.«
»Gerade wegen ihm wäre es besser zu gehen«, erwiderte Andrej. Er
war allerdings sicher, dass er seinen Atem verschwendete. Starkeys
und La Valettes Entschluss stand längst fest. Dennoch fuhr er fort:
»Er ist meinetwegen hier. Und er wird jeden vernichten, der mir etwas bedeuten könnte oder mir geholfen hat. Wenn er in Erfahrung
bringt, dass Ihr mich die ganze Zeit über beschützt habt, dann wird er
auch Euch töten.«
»Aber gerade deshalb ist es unabdingbar, dass Ihr bleibt, um uns zu
beschützen«, erwiderte Starkey fast amüsiert. »Ihr wollt mir doch
nicht erzählen, dass Ihr Angst vor ihm habt? Ihr - ein Mann, der nicht
sterben kann!«
»Ich bin ihm nicht gewachsen«, entgegnete Andrej ernst. »Ihr habt
es doch gesehen. Er hätte mich dort oben im Glockenturm töten können, wenn er es gewollt hätte.«
»Aber ganz offensichtlich wollte er es nicht.«
»Um mich weiter zu demütigen, ja«, fuhr Andrej fort. »Ihr täuscht
Euch, wenn Ihr glaubt, Abu Dun und ich seien tatsächlich unsterblich. Wir verfügen über gewisse…«, er suchte einen Moment vergeblich nach den richtigen Worten, »… Fähigkeiten, das ist wahr. Aber
auch wir können getötet werden.«
»Umso wichtiger sollte es für Euch sein, ihn zu finden und zu vernichten«, sagte Starkey. »Möglicherweise habt Ihr Recht, und er
wurde tatsächlich geschickt, um Euch zu töten. Doch so, wie es im
Moment aussieht, steht er offensichtlich zugleich in Mustafa Paschas
Diensten.« Er schnitt den Protest, zu dem Andrej ansetzte, mit einer
entsprechenden Handbewegung ab. »Die Gründe, aus denen er das
tut, spielen letzten Endes keine Rolle. Er sät Angst in die Herzen der
Menschen in dieser Stadt, das allein zählt. Wir müssen ihn stellen.
Und ich fürchte, Ihr und Euer Freund seid die Einzigen auf dieser
Insel, die dazu in der Lage sind.«
22. Mai 1565, zur Abenddämmerung auf der Bastion der Kastilier
Zum ersten Mal seit annähernd drei Jahren trat Andrej nicht im Ordensgewand der Johanniter aus dem Haus, sondern in den Kleidern,
in denen er nach Malta gekommen war. An seiner Seite hing nicht
das prachtvolle Breitschwert, das La Valette ihm - aus Gründen, die
er erst jetzt wirklich verstand - damals zum Geschenk gemacht hatte,
sondern seine eigene, vertraute Damaszenerklinge. Andrej trug weder Helm noch Rüstung. Ebenfalls zum ersten Mal seit drei Jahren
hatte er sich den Bart abgenommen und trug sein Haar nicht streng
zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden, sondern
ließ es offen bis weit über seine Schultern fallen.
Doch das alles war nur eine erbärmliche Verkleidung. Jeder der
Ritter, mit denen er in den zurückliegenden Jahren zusammengelebt
und gekämpft hatte, würde ihn spätestens auf den zweiten Blick
trotzdem erkennen, aber es war das Beste, was er aufzubieten hatte,
und musste genügen. Er würde eben das tun, was er im Laufe seines
Lebens schon so oft getan hatte, und auf sein Glück vertrauen. Die
hereinbrechende Abenddämmerung und das flackernde rote Licht
zahlloser Fackeln, die auf dem Wehrgang aufgestellt worden waren
und mit ihren tanzenden Schatten die Wirklichkeit verzerrten, kamen
ihm dabei zu Hilfe.
Aus den Straßen der Stadt wehten Gelächter, aufgeregte Stimmen
und Musikfetzen zu ihm hoch; Klänge, die nach den Geschehnissen
dieses Tages unangemessen, ja, fast schon obszön erschienen. Im
Gegensatz zu La Valette und Starkey werteten die Einwohner Birgus
- und ein Großteil der
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