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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unerwartet.
»Nichts«, sagte er in amüsiertem Ton. Er musste an Starkey und La
Valette denken, und an all die gut getarnt aufgestellten Bogen-,
Armbrust- und Musketenschützen, an die Fallen und sorgfältig geplanten Hinterhalte, die die Männer im Laufe der letzten Stunden in
der Festung und in jedem Winkel des Turmes vorbereitet hatten, um
den Weg hinauf nicht nur für Abu Dun, sondern vor allem für den
Dämon in einen wahren Spießrutenlauf zu verwandeln. Selbst hinter
jedem Fenster des Turmes hatte Starkey einen Mann postiert, der
keine andere Aufgabe hatte als die, unentwegt nach unten zu blicken
und jede verdächtige Bewegung sofort zu melden. Nur für den Fall,
dass der Dämon an der Außenseite des über hundert Fuß hohen Turmes emporzuklettern versuchte.
»Nichts«, wiederholte er noch einmal. Dann wandte er sich wieder
direkt an Pepe. »Hast du mit jemandem darüber gesprochen?«, fragte
er. »Außer mit mir jetzt, meine ich.«
»Nein«, antwortete Pepe.
»Das ist gut«, sagte Andrej. »Du bist also bei hellem Tageslicht
hinüber nach St. Elmo und wieder zurück gesegelt, ohne dass die
Türken dich aufhalten konnten?«
Pepe grinste breit. »Was für eine Frage! Wollt Ihr mich beleidigen?
Da müssen schon mehr als ein paar Hundert türkische Kanoniere
kommen, um einen Pepe di Ruvu davon abzuhalten, dem Freund
eines Freundes einen Gefallen zu tun.«
»Ich habe auch nichts anderes erwartet«, erwiderte Andrej lächelnd.
»Und wenn wir schon einmal dabei sind: Würdest du mir vielleicht
denselben Gefallen erweisen?«
    Kurz bevor sie die Klippe erreicht hatten, war die Wolkendecke
dann doch noch einmal aufgerissen, was Andrej nicht nur die Gelegenheit zu einem raschen Blick in den Himmel hinauf gegeben und
die erschrockene Gewissheit gebracht hatte, dass nicht mehr viel Zeit
bis Mitternacht blieb, sondern das kleine Boot außerdem des einzigen Schutzes beraubt hatte, den es auf seinem Weg quer durch das
Schussfeld der türkischen Galeeren gehabt hatte.
    Die Kanoniere an Bord der Schiffe machten ihrem Ruf alle Ehre:
Mindestens fünf oder sechs feuerten auf das kleine Fischerboot. Und
auch, wenn die Kugeln allesamt ihr Ziel verfehlten, so kam ihm doch
eine nahe genug, dass die aufspritzende Wassersäule sie nicht nur bis
auf die Haut durchnässte, sondern das Boot auch gefährlich schwanken ließ. Dann schloss sich die Wolkendecke wieder und die schützende Dunkelheit hüllte sie ein. Die Türken feuerten noch eine weitere, ungezielte Salve in ihre Richtung ab und visierten dann wieder
die Steilküste und die Festung an ihrem oberen Ende an, Ziele, die
selbst bei der herrschenden, nahezu vollkommenen Dunkelheit nicht
zu übersehen waren.
    Nur wenige Augenblicke später steuerte Pepe das Boot an den Fuß
der schmalen Steintreppe, die direkt in den Fels hineingeschlagen
worden war und die gut sechzig Fuß hinauf zum Vorwerk von St.
Elmo führte.
    Andrej stand in dem schwankenden Boot auf, schüttelte aber den
Kopf, als sich Pepe ebenfalls erhob und ihm folgen wollte.
»Bei dem, was jetzt kommt, kannst du mir nicht helfen«, sagte er.
»Fahr zurück. In St. Angelo…« Um ein Haar hätte er gesagt bist du
sicher, aber ihm wurde gerade noch rechtzeitig klar, dass sich das in
Pepes Ohren wie ein schlechter Scherz angehört hätte. So zögerte er
kurz und fuhr dann fort: »… werden deine Fertigkeiten nützlicher
sein als hier.«
Tatsache war jedenfalls, dass St. Elmo aufgrund seiner Lage mit
hoher Wahrscheinlichkeit eher fallen würde als St. Angelo.
Pepe zögerte. Ein sonderbarer Ausdruck huschte über sein Gesicht,
aber schließlich nickte er, ließ sich wieder auf seinen Platz in dem
kleinen Schiff sinken und ergriff mit seinen schwieligen Händen die
Riemen. »Ich wünsche Euch viel Glück, Chevalier«, sagte er.
Andrej schüttelte sacht den Kopf. »Nicht Chevalier«, antwortete er.
»Einfach nur Andrej.«
Pepe nickte. »Andrej«, wiederholte er. »Leb wohl.«
Andrej beantwortete den Gruß mit einem stummen Nicken, trat auf
die unterste Stufe und blieb reglos stehen, bis Pepe das Boot vom
Felsen abgestoßen und mit geschickten Bewegungen fast auf der
Stelle gewendet hatte. Es verschwand in der Nacht, noch bevor es
sich auch nur dreißig Fuß von der Klippe entfernt hatte, und Andrej
wusste, dass er den kleinen Neapolitaner niemals wieder sehen würde. Ein bitteres, leeres Gefühl begann sich in ihm auszubreiten. Es
gelang ihm, es niederzukämpfen, aber er wusste,

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