Der Gejagte
Waffe. »Hier unten sind genug Männer. Vielleicht
gelingt es ihnen ja, mich zu überwältigen.«
»Abu Dun, sei vernünftig«, sagte Andrej. »Wir stehen auf derselben
Seite.«
»Du wirst dich nicht einmischen«, sagte der Nubier kalt. »Der Dämon gehört mir.«
»Ihr seid verrückt, wenn Ihr glaubt, dass ich das zulasse«, stammelte La Valette. »Ihr steht unter Arrest, habt Ihr verstanden? Ihr werdet
Eure Waffen ausliefern und Euch widerstandslos gefangen nehmen
lassen.«
Abu Dun lachte nur verächtlich.
Andrejs Gedanken überschlugen sich. Der Schmerz um Pedros Tod
hatte zweifellos Abu Duns Sinne verwirrt, aber letzten Endes war er
immer noch sein alter Freund. Sollte La Valette tatsächlich verrückt
genug sein, seinen Männern zu befehlen, den Nubier zu überwältigen, dann würde er nicht den Bruchteil einer Sekunde lang überlegen
müssen, auf welcher Seite er stand, auch wenn er wusste, dass dies
vielleicht ihr letzter gemeinsamer Kampf werden würde. Die Soldaten aus La Valettes Leibgarde waren zweifellos die besten, die dieser
hatte finden können, und in der Enge des Ganges würden Abu Dun
und er ihre überlegene Schnelligkeit und Reichweite kaum ausspielen können. Doch selbst, wenn sie gewannen, würde es auf jeden Fall
ein furchtbares Blutbad werden, das er um jeden Preis vermeiden
wollte. Keiner dieser Männer dort war sein Feind, ganz im Gegenteil.
»Ich kann mein Angebot nur wiederholen«, sagte Abu Dun fast
mitleidig. »Versucht, mich aufzuhalten, wenn Euch das Leben Eurer
Männer so wenig gilt. Oder kommt heute Nacht auf den Turm des
Forts. Ich bin sicher, der Dämon hat nichts gegen ein paar Zuschauer
einzuwenden. Vielleicht tötet er mich und Ihr könnt Euren Männern
erzählen, dass Gott mich für die Unverschämtheit bestraft hat, mich
Eurem Befehl widersetzt zu haben. Und sollte das Unwahrscheinliche geschehen und ich ihn töten, könnt Ihr mich hinterher gern verhaften und in den Kerker werfen lassen.«
Mit diesen Worten drehte er sich einfach um und ging.
24. Mai 1565, eine Stunde nach Sonnenuntergang im Vorwerk der
Festung St. Angelo
Nachdem die Sonne untergegangen war, hatten die türkischen
Schiffe draußen auf dem Meer ebenfalls das Feuer eröffnet. Andrej
glaubte nicht daran, dass das Zufall war; so wenig, wie er glaubte,
dass auch diese Salven nur durch Zufall oder mangelndes Geschick
der Kanoniere so gut wie keinen Schaden anrichteten. Nur wenige
der schweren Geschosse trafen die Festung. Die meisten zerbarsten
an den massiven Kalksteinklippen, auf denen das Fundament der
Kreuzritterburg ruhte, wenn sie nicht schon vorher ins Meer stürzten
und allenfalls ein paar Fische erschreckten.
Andrej war dieses sonderbare Verhalten zunächst vollkommen unsinnig vorgekommen. Ganz gleich, wie viel Munition und Schießpulver die Türken auch herangeschafft hatten, es gab keinen Grund,
sie zu verschwenden, nur weil sich der Admiral der türkischen Flotte
ein hübsches Feuerwerk wünschte. Aber es dauerte nicht lange, bis
ihm der Irrtum seiner Überlegung klar wurde. Er begriff es in dem
Moment, als auch von der anderen Seite der Bucht Kanonendonner
zu ihnen herüberwehte und er das wuchtige Fernrohr ansetzte und in
Richtung der Festung St. Elmo schwenkte.
Draußen über dem Meer herrschte vollkommene Dunkelheit. Nach
einem Tag, der wolkenlos und so heiß gewesen war, wie man es sich
nur vorstellen konnte, hatte sich der Himmel kurz vor Sonnenuntergang mit schweren dunkelgrauen Wolken bezogen, die zwar weder
Regen noch Abkühlung versprachen, den Mond und die Sterne jedoch zuverlässig verbargen, sodass der Nachthimmel und das nahezu
unbewegt daliegende Meer zu einer einzigen finsteren Masse verschmolzen, in der noch nicht einmal Andrejs scharfe Augen Details
erkennen konnten.
Wie um sie zu verspotten, hatten die Türken ihre Schiffe jedoch
hell beleuchtet. Nicht nur die Positionslichter an Bug und Heck
brannten, die verhindern sollten, dass die gewaltigen Galeeren in der
Dunkelheit miteinander kollidierten, auch überall an der Reling und
den Masten waren kleine, weiß leuchtende Laternen befestigt worden, sodass es schien, als hätten Himmel und Erde ihren Platz getauscht und die Sterne leuchteten nun unter statt über ihnen.
Sowohl die Schiffe, die ihren bizarren Salut in Richtung St. Angelo
feuerten, als auch die, die das Gleiche drüben bei St. Elmo taten, näherten sich der Küste auf dieselbe sonderbare Art: sozusagen im
Gänsemarsch, wobei sie
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