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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dem
Meer treiben müssen.
Ja, sie hatten Glück gehabt. Aber dieser Gedanke stimmte ihn nicht
froh. In letzter Zeit kam es zu oft vor, dass sie nur durch reines Glück
davonkamen.
Abu Dun übergab sich ein letztes Mal, brachte es dabei fertig, Andrejs rechte Hand zu erwischen, befreite sich schließlich mit einer
umständlichen Bewegung aus seinen Armen und richtete sich keuchend auf. »Danke«, murmelte er, während er sich mit dem Handrücken über den Mund fuhr.
Andrej brummte eine Antwort, warf Abu Dun einen schrägen Blick
zu und wischte seine Hand an verdorrtem Gras ab. Er stand auf, ging
zum Ufer zurück und wusch sich ausgiebig die Hände im kalten
Salzwasser, als ob er in den zurückliegenden Stunden noch nicht
genug davon bekommen hätte.
Als er zu Abu Dun zurückkam, hatte dieser sich bereits wieder erholt, saß aber noch mit weit nach vorne hängenden Schultern zitternd
da. Sein Gesicht war schlaff und bleich; die Lippen blau angelaufen
und aufgerissen vom Salzwasser. Er hatte den Turban abgenommen
und strich sich mit der linken Hand immer wieder über den kahl rasierten Schädel.
»Alles in Ordnung?«, fragte Andrej.
»Ich lebe noch«, stellte Abu Dun fest, während er sich weiter aufrichtete und sich dann ächzend mit dem Unterarm über den Mund
fuhr, um anschließend angeekelt die Lippen zu verziehen. »Und das
habe ich wahrscheinlich nur dir zu verdanken… Allerdings«, fügte er
nach einer Pause in nachdenklichem Ton hinzu, »habe ich es auch
nur dir zu verdanken, dass ich überhaupt in diese Situation gekommen bin.«
»Dann sind wir ja quitt«, antwortete Andrej. Er war nicht sicher,
was er von Abu Duns Worten halten sollte. Der Nubier grinste zwar,
aber es war kein besonders freundliches Grinsen. Er sah noch einen
Moment nachdenklich auf den Gefährten hinab, dann deutete er ein
Achselzucken an und ließ sich neben ihm ins Gras sinken. Es war
hart und schon halb verdorrt, obwohl der Sommer noch nicht einmal
richtig begonnen hatte.
Sie befanden sich in einer der zahllosen kleinen Buchten, die die
Küste in diesem Teil des Landes säumten. Das dürre Gras, das fast
bis ans Meer heran wuchs und selbst dem beharrlichen Ansturm des
Salzwassers trotzte, ging wenige Schritte hinter ihnen in eine karge
Fels- und Geröllebene über, die ihrerseits bald darauf an einer zwölf
Meter hohen Steilwand endete. Ein perfektes Versteck. Selbst wenn
die Türken nach ihnen gesucht hätten, hätten sie kaum eine Chance
gehabt, sie dort aufzuspüren.
Aber sie suchten erst gar nicht nach ihnen.
Andrej hob den Kopf und sah noch einmal aufs Meer hinaus, als ob
er sich von der Richtigkeit dieser Behauptung noch einmal überzeugen müsste. In der Ferne war Konstantinopel zu erkennen. Wenn
man genau hinsah, erblickte man Schiffe, die auf dem Wasser davor
trieben. Eine Stunde, nachdem ihr Boot gesunken war, hatten zwei
Kriegsschiffe das Meer an der entsprechenden Stelle nach Überlebenden abgesucht, aber da hatte sie die rettende Strömung längst
meilenweit fortgetragen. Andrej glaubte nicht, dass die Männer an
Bord der Schiffe ihre Aufgabe mit sonderlichem Eifer erfüllt hatten.
Schließlich waren sie Zeuge geworden, wie das winzige Fischerboot
regelrecht pulverisiert worden war, sodass man alle, die sich an Bord
aufgehalten hatten, unweigerlich für tot halten musste.
»Hast du eine Ahnung, wo unser Boot ist?«, fragte Abu Dun nach
einer Weile.
Andrej schüttelte zuerst den Kopf und deutete dann nach Norden.
»Irgendwo dort. Wahrscheinlich nicht weit weg, ein paar Meilen
vielleicht.«
»Und wie kommen wir dorthin?«, wollte Abu Dun wissen. Andrej
hätte eine Menge für die Antwort auf diese Frage gegeben. Er hatte
keine Ahnung, wo sich ihr Boot befand. Sie hatten das kleine,
schnelle Schiff in einer Bucht versteckt, die große Ähnlichkeit mit
ihrem jetzigen Aufenthaltsort hatte, zum Meer hin aber durch eine
Anzahl hoher Riffe geschützt war, sodass niemand das Boot entdecken würde, selbst wenn er in unmittelbarer Nähe vorbeifuhr. Sie
hätten sich nicht auf die verfluchten Schmuggler verlassen sollen,
und darauf, dass die den Rückweg schon finden würden.
Schließlich hob er die Schultern und sagte: »Schwimmen, nehme
ich an.«
»Sehr komisch«, nörgelte Abu Dun. »Wenn ich noch einmal ins
Wasser muss, wachsen mir Schwimmhäute zwischen Fingern und
Zehen.«
»Ich dachte, du wärst früher Seefahrer gewesen«, gab Andrej zurück.
»Ganz recht.« Abu Dun nickte grimmig, griff nach

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