Der Gejagte
hätte: eine Familie. Wann immer er an Bord
eines Schiffes in den felsengesäumten Hafen zurückkehrte, überkam
ihn das beruhigende Gefühl, dass dies der Ort war, an den er gehörte.
Sein Blick glitt zum Fort St. Elmo an der Einfahrt zum großen Hafen. Der Bau der Befestigungsanlage hatte sichtbare Fortschritte gemacht. Das hätte ihm eigentlich ein Gefühl der Sicherheit geben sollen, hätte er nicht zwei Wochen vorher die gewaltige Flotte gesehen,
die die Türken zusammengezogen hatten, um diese Insel zu erobern.
St. Elmo war ein nahezu uneinnehmbares Bollwerk, vor allem, nachdem die Festungsanlagen noch einmal verstärkt worden waren, aber
es war ein ungleicher Kampf. Wie lange würde das kleine Fort mit
seinen angeschrägten Festungswällen einem ernsthaften Angriff der
gewaltigen türkischen Flotte standhalten? Eine Frage, auf die sie
vielleicht nur allzu bald eine Antwort bekommen würden.
Das Boot legte sich ein wenig schräg. Salzwasser spritzte in
schaumigen Flocken über die niedrige Reling, als Abu Dun sein Gefährt schwungvoll auf den endgültigen Kurs zur Anlegestelle brachte.
Andrej hatte das Gefühl, dass das Schiffchen dazu keiner Hilfe bedurfte - das Segel zerrte am Mast, als gäbe es sich alle Mühe, ihn aus
den Planken herauszureißen. Das ganze Boot ächzte und zitterte, als
könne es die Heimkehr ebenso wenig erwarten wie seine Passagiere.
Das Land flog ihnen regelrecht entgegen.
Wie zwei verkrüppelte, knochige Finger reckten sich die kleinen
Halbinseln Senglea und Birgu in das Becken des großen Hafens.
Zwischen ihnen lag eine schmale Bucht mit der Werft, die die Basis
der schlanken, schnellen Galeeren war, mit deren Hilfe die Johanniter über das Mittelmeer wachten und deren Schnelligkeit vielleicht
alles war, was noch zwischen ihnen und einer bitteren Niederlage
stand.
Der Geruch von Teer und frisch geschlagenem Holz lag in der Luft,
aber auch der Gestank nach faulendem Fisch, Rauch, Urin und Kot,
Schweiß und Blut, der jedem dieser Meeresfalken anhaftete. Denn
deren tödliche Geschwindigkeit im Kampf beruhte zum größten Teil
auf der Kraft von zwei- bis dreihundert Sklaven, die an die Ruderbänke gekettet wurden, sobald man eines der Schiffe zum Auslaufen
bereitmachte.
Andrej lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als er sich vorzustellen versuchte, welche Hölle inmitten einer tobenden Seeschlacht
unter Deck herrschen musste…
Nein! Er schüttelte diesen Gedanken ab. Andrej wusste, dass es
wenig Sinn hatte, sich zu fragen, warum das Schicksal so grausam zu
manchen Menschen war und zu anderen so großmütig.
Das Fischerboot suchte sich einen Weg zwischen drei Ehrfurcht
gebietenden Galeeren hindurch, die dort ankerten, und steuerte den
Kai an, an dem bereits einige Boote vertäut waren.
Andrej sah ein letztes Mal prüfend an sich herab. Er trug die eng
geschnittenen Hosen eines Edelmannes. Sein kostbares, perlengeschmücktes Wams war unter dem weiten Waffenrock verborgen,
dessen weißes Tatzenkreuz auf rotem Grund ihn als Ritter des Johanniterordens auswies. Es war ein Gewand, dessen Anblick stets die
gleiche Reaktion hervorrief, selbst unter den einfachen Bewohnern
Maltas: Eine Mischung aus Furcht und sachtem Spott - symbolisierte
es doch zu gleichen Teilen die eiserne Faust Gottes und einen Zeitgeist, der schon seit einem Menschenalter überholt sein sollte. Überall sonst auf der Welt waren Waffenröcke wie diese längst aus der
Mode gekommen, und das aus gutem Grund. Doch für den Orden
waren sie ein Ehrenkleid, das seine Mitglieder als die letzten wahren
Kreuzritter auswies. Die Letzten, die noch davon träumten, eines
Tages das Heilige Land den Heiden, die sich auf Gottes Grund und
Boden eingenistet hatten, wegzunehmen, es seinen rechtmäßigen
Besitzern zurückzugeben und von neuem das Banner der Christenheit über den Dächern Jerusalems aufzupflanzen.
Andrej selbst glaubte nicht daran. Er lächelte bitter. Dies war gewiss nicht sein Traum, sondern bloß das, was er seit drei Jahren immer und immer wieder hörte: die nicht enden wollende Litanei, mit
der sich die Johanniter selbst zu bestärken versuchten und an der sie
vielleicht nur deshalb so stur festhielten, um damit ihre Furcht zu
überspielen. Dabei war das hehre Ziel der letzten Verteidiger des
wahren Glaubens ferner denn je. Wahrscheinlich würden sie ihm
auch niemals näher kommen, als sie es in diesem Augenblick waren.
Außerdem kämpfte er in diesem sinnlosen Krieg
Weitere Kostenlose Bücher