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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schon zu lange,
um nicht zu wissen, dass es in Wahrheit nicht um den Glauben oder
gar um Gott ging, sondern um etwas, worum die Menschen schon
seit Urzeiten kämpften: Macht. Gott scherte sich seiner Meinung
nach einen Dreck darum, wessen Fahne über den Dächern Jerusalems wehte und in welcher Sprache die Menschen in ihren Tempeln
beteten.
    Andrej verließ das Boot, um ohne Abschied die steilen Stufen zur
Ordensfestung St. Angelo hinaufzueilen. Der Orden hatte das Antlitz
des einstigen Fischerdorfes in den letzten dreißig Jahren sehr verändert. Noch gab es die kleinen, würfelförmigen Häuser mit ihren flachen Dächern, auf denen sich ein Großteil des Familienlebens abspielte. Doch sie wirkten mittlerweile fast wie Fremdkörper - das
letzte Überbleibsel einer unangemessenen Normalität inmitten einer
Stadt, die sich seit Jahrzehnten auf den Angriff der Osmanen vorbereitete. Längst waren die gewundenen Gässchen von einst geraden,
planvoll angelegten Straßen gewichen. Die halb verfallene Stadtmauer hatte einer lückenlosen, mehr als dreizehntausend Schritt messenden Verteidigungsanlage Platz gemacht. Prächtig erhoben sich die
Häuser der acht ›Zungen‹ oder Ordensprovinzen zwischen den Fischerhütten, gesäumt von Arsenalen, Kasernen und dem Hospital.
    Neben der Ordenskirche waren etliche kleinere Kapellen entstanden, Orte der Stille und der Zuflucht auf diesem Felsen, der Tag und
Nacht vom Schritt der geharnischten Ordenskrieger widerhallte. Das
Fort war durch einen Wallgraben mit Zugbrücke von Biru getrennt.
Es besaß zwei rundum laufende Galerien, von denen aus seine Geschütze die ganze Bucht beherrschten. Eine Festung Gottes mit
scharfen Zähnen und Klauen, von deren Zinnen aus aufmerksame
Augen auf das Meer hinaussahen.
    Andrej fragte sich, wie es sein mochte, das Leben eines ganz normalen Fischers oder Bauern an einem Ort wie diesem zu führen, den
kleinen Verrichtungen des Alltages nachzugehen und dabei die Vorboten von Tod und Zerstörung in jeder Sekunde vor Augen zu haben.
Wahrscheinlich hatten sie sich daran gewöhnt. Die meisten Menschen, die dort lebten, waren in diese Welt hineingeboren worden
und kannten keine andere. Vielleicht waren Abu Dun und er - zumindest im Moment noch - die einzigen Menschen auf Malta, die
wussten, dass der große Sturm, auf den sie seit dreißig Jahren warteten, und von dem jeder insgeheim annahm, dass er auch noch weitere
dreißig Jahre auf sich warten lassen würde, nun endgültig heraufzog.
Es würden auch diesmal wieder vor allem die Unbeteiligten und Unschuldigen sein, die am meisten unter dem Krieg leiden würden. Er
gönnte den Menschen die letzten Tage in Ruhe und Frieden, die ihnen noch blieben.
    Andrej bewegte sich schnell und mit der selbstverständlichen Zielsicherheit eines Mannes, der seinen Weg auch mit verbundenen Augen gefunden hätte. Sein Ziel war der Kapitelsaal des Ordens, der im
Herzen der Befestigungen von St. Angelo lag. Dort würde er auf den
Großmeister treffen, der ihn vermutlich schon voller Ungeduld erwartete. Ohne jeden Zweifel hatte man La Valette seine Ankunft
längst gemeldet.
    Ein Ritter, der trotz der brütenden Hitze Kettenhemd und volle Rüstung trug - vermutlich der Kommandant der Torwache -, machte eine
Bewegung, um Andrej den Einlass zu verwehren, doch dann erkannte er ihn und grüßte nicht nur respektvoll, sondern trat hastig zur Seite. Auch die Pikeniere hinter dem Torgewölbe beeilten sich, ihm aus
dem Weg zu gehen. Andrej erwiderte den Gruß des Ritters mit einem
knappen Kopfnicken und ging rasch weiter, ohne sich noch einmal
zu den Männern umzudrehen, aber er konnte spüren, wie sie besorgte
Blicke austauschten und tuschelnd die Köpfe zusammensteckten.
Jedermann wusste, wer er war und woher er in diesem Augenblick
kam. Alle fieberten den Neuigkeiten entgegen, die er mitbrachte,
wenn auch gewiss nicht voller Vorfreude.
    Er überquerte den schattigen kleinen Innenhof hinter dem Tor und
hielt mit energischen Schritten auf das niedrige, von Spitzbögen überwölbte Portal auf der gegenüberliegenden Seite zu. Das eisenbeschlagene Tor wurde aufgerissen. Offensichtlich hatte man die Ankunft des Bootes tatsächlich bereits gemeldet.
    Er nickte der Torwache kurz zu, einem jungen blonden Burschen
mit noch fast kindlichem Gesicht und Augen, die die mühsam zurückgehaltene Unsicherheit ihres Besitzers nicht verhehlen konnten,
und eilte weiter den schmalen Gang entlang.
    Im Inneren der Festung war

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