Der Gejagte
wieder aufrichtete. »Allahu akbar!«, hallte ein einzelner schriller Ruf vom Ufer herüber. Allah ist groß! Der scharfe Knall einer Peitsche brachte die
Stimme zum Schweigen, aber sofort nahm eine andere den Ruf auf,
dann noch eine und noch eine, bis ein ganzer Chor triumphierender
Schreie auf beiden Seiten der schmalen Bucht ertönte. Allahu akbar!
Allahu akbar!
Andrej drehte sich langsam um und musste nun ebenfalls die Augen
mit der Hand beschatten, um zu erkennen, was sich auf den schmalen
Kaimauern abspielte. Unter den moslemischen Sklaven, die die
Seilwinden bedienten, war ein kleiner Tumult ausgebrochen. Nichts
Bedrohliches, es war kein Aufstand. In der Zeit, in der Andrej auf
Malta war, hatten die Sklaven zweimal versucht, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben. Beide Male war dieser Versuch von den Johannitern mit solcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit zerschlagen
worden, dass keiner der Überlebenden es ein drittes Mal versuchen
würde. Es war lediglich ein trotziges Gerangel und lautstarkes Aufbegehren, das die Aufseher rasch mit reichlich ausgeteilten Peitschenhieben und Stockschlägen beendeten. Auf den Festungswällen
des Forts St. Angelo marschierten Musketenschützen auf und richteten ihre Waffen drohend auf die Sklaven unten am Ufer und hinter
den Mauern erklang hektischer Hufschlag. Wahrscheinlich war auch
die kleine Reiterabteilung der Ritter in Alarmbereitschaft versetzt
worden.
Andrej schüttelte den Kopf. Nicht zum ersten Mal fragte er sich,
was er eigentlich dort tat und ob er überhaupt auf der richtigen Seite
stand. Und nicht zum ersten Mal gestand er sich ein, dass er die
Antwort gar nicht wissen wollte.
Der Tumult am Ufer endete so schnell, wie er begonnen hatte. Blutige Rücken krümmten sich und schwielige Hände griffen erneut
nach den groben Seilen.
Ein einzelnes Ruderboot löste sich vom Ufer und glitt der sinkenden Galeere entgegen. Der Anblick erinnerte Andrej an ein anderes,
ungleich größeres Schiff, das Kurs auf sie genommen hatte, und es
kostete ihn alle Kraft, die Erinnerung zurückzudrängen.
Vielleicht nur, um sich abzulenken, sah er noch einmal zum Ufer.
Die Sklaven hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen. Das triumphierende Geschrei war verstummt, was die Aufseher allerdings nicht
daran hinderte, weiterhin den einen oder anderen Peitschenhieb auszuteilen oder einen der Männer den Knüppel schmecken zu lassen,
wenn er ihrer Meinung nach nicht kräftig genug zupackte.
Ein wenig abseits der Seilwinden, eingekeilt in die Menge der Gaffer und Schaulustigen, die sich am Ufer eingefunden hatte, um dem
morbiden Schauspiel zu folgen, stand eine einzelne, ganz in Schwarz
gekleidete Gestalt. Andrej glaubte Abu Duns Blicke fast körperlich
zu spüren. Besorgt fragte er sich, ob der Nubier wusste, was er tat.
Sicher war er gekommen, weil er glaubte, es ihm schuldig zu sein,
und ein Teil von Andrej empfand auch ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit für diese Geste, doch sein Verstand sagte ihm, dass sich Abu
Dun damit in extreme Gefahr begab.
Jedermann wusste, wer Abu Dun war: der Muselman, der als
Freund eines Ritters gekommen war und sein Schwert in den Dienst
der Christenheit gestellt hatte. In Andrejs Augen stand er ein wenig
zu dicht bei den Sklaven - und deren Aufsehern. Dass man Abu Dun
akzeptiert hatte, bedeutete nicht, dass man ihn schätzte oder respektierte. Die Christen misstrauten ihm, weil er von dunkler Hautfarbe
war und dem falschen Glauben anhing. Für die Sklaven war er nichts
weiter als ein Verräter. Abu Dun spielte gern mit dem Feuer, doch
was er nun tat, ging entschieden zu weit. Andrej nahm sich vor, bei
nächster Gelegenheit ein ernstes Wort mit dem Nubier zu reden.
Das Ruderboot hatte die Galeere mittlerweile fast erreicht und wurde langsamer, während die Männer versuchten, sich einen Weg durch
das Gewirr kreuz und quer gespannter Taue zu suchen, die das sinkende Schiff in der Balance hielten. Eine einzelne, hoch aufgerichtete Gestalt stand im Bug und versuchte mit gespreizten Beinen die
Balance auf dem schwankenden Deck zu halten. Andrejs Stimmung
sank schlagartig noch weiter, als er Romegas erkannte. Der Aasgeier
war gekommen, um sich mit eigenen Augen vom Erfolg seines Planes zu überzeugen.
»Chevalier Romegas«, sagte er mit ruhiger Stimme und einem Lächeln. »Ihr habt Euch selbst herbemüht, um mich abzuholen? Welche
Ehre.«
Romegas’ buschige Augenbrauen verschmolzen zu einem einzigen
schwarzen Strich.
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