Der Gejagte
hatte man von Bord
gebracht. Die St. Gabriel war kaum mehr als ein Skelett.
Andrej spürte eine ungewohnte Bewegung in den Planken unter
seinen Füßen. Die dicken Halteseile, die von der Galeere zum Ufer
liefen, spannten sich mit einem peitschenden Knall und wie zur Antwort war aus der Bilge ganz leise ein gluckerndes Geräusch zu hören, ein Laut wie das Röcheln eines Sterbenden, dem ein Pfeil in die
Brust gedrungen war und der an seinem eigenen Blut ertrank.
»Herr?«, sagte Lupo. »Unsere Arbeit ist getan. Wir müssen jetzt
gehen.«
Andrej lächelte traurig. Ja, es war der Abschied von einem Freund.
Der Abschied von einem Teil seines Lebens, der vielleicht nicht lange gewährt hatte, ihm aber wichtiger gewesen war, als er bis zu diesem Tag hatte wahrhaben wollen. Es kostete ihn große Kraft, sich
erneut zu dem weißhaarigen Segelmacher umzudrehen.
»Geht vor«, sagte er. »Ich komme nach.«
Der alte Mann sah zweifelnd zu ihm hoch. Sein Gesicht war zu einer Grimasse aus Falten und Runzeln verzogen, da er immer noch
direkt in die Sonne hinaufblicken musste, und doch meinte Andrej,
auf seinen Zügen fast so etwas wie Demut zu erkennen. Einen Moment lang schien er etwas sagen zu wollen, dann aber wandte er sich
abrupt um, winkte den beiden Schiffszimmerleuten, die mit ihm aus
der Bilge heraufgekommen waren, und kletterte dann geschickt über
die Reling in das wartende Ruderboot hinab.
Wieder knirschten die Seile, die das Schiff hielten. Vom Ufer her
hallten scharfe Kommandos über das Wasser und die Sklaven an den
großen Winden auf den Kais gaben etwas Tau nach. Ein Zittern lief
durch das Schiff wie durch den Leib eines sterbenden Riesen, der
sich ein allerletztes Mal gegen das Unvermeidliche aufzubäumen
versuchte. Das Röcheln aus der Bilge war verstummt und hatte dem
schweren Klatschen des immer schneller eindringenden Wassers
Platz gemacht.
Andrej spürte, wie sich die feinen Haare in seinem Nacken aufrichteten und er eine Gänsehaut bekam. Er versuchte sich einzureden,
dass es Ehrfurcht war, ein letzter Tribut, den er dem sterbenden
Freund zollte, aber natürlich wusste er, dass das nicht stimmte. Es
war nichts anderes als blanker Zorn. Die St. Gabriel zu versenken,
das hieß, all jene zu verhöhnen, die ihr Leben für das Schiff gegeben
hatten, und ihrem Tod im Nachhinein jeden Sinn zu rauben.
Andrej hatte vergeblich versucht, La Valette von seinem Entschluss
abzubringen. Die Flotte der Johanniter bestand aus sieben Galeeren,
die St. Gabriel mitgerechnet. Zwei davon hatte man nach Norden
geschickt, um den Vizekönig von Sizilien an sein Versprechen zu
erinnern, in der Stunde der Not Verstärkung zu schicken; beladen mit
den Kranken und Alten, die bei der zu erwartenden Belagerung nicht
von Nutzen sein würden. Drei weitere Galeeren lagen in der schmalen Hafenbucht zwischen Birgu und Senglea vor Anker, wo sie vor
den türkischen Geschützen in Sicherheit sein würden, aber für weitere Schiffe war dort kein Platz mehr gewesen. Sie zu bemannen und in
einen sicheren christlichen Hafen zu schicken, hätte bedeutet, die
ohnehin schon viel zu kleine Besatzung der Inselfestung noch weiter
zu schwächen. Deshalb hatte der Ordensmeister entschieden, die beiden übrig gebliebenen Galeeren zu versenken. Es sollte auf eine Art
und Weise geschehen, dass man sie später wieder vom Grund der
Bucht bergen konnte - falls es ein Später gab, falls Malta die Belagerung überstand und der Ritterorden im nächsten Jahr noch existierte,
dachte Andrej bitter. Sie alle wussten, dass nichts davon eintreffen
würde. Wenn sich überhaupt jemand die sinnreiche Konstruktion aus
Tauen und großen Netzen zunutze machen würde, die unter dem
Rumpf des Schiffes angebracht worden war, um es kontrolliert zu
versenken und ein Kentern zu verhindern, so würden es Männer sein,
die Turbane trugen und dunkle Gesichter hatten, aber Andrej bezweifelte, dass sich die Krieger des Sultans diese Mühe machen würden.
Seine Flotte zählte nach Hunderten von Schiffen, welchen Unterschied machte da eine einzige Galeere, selbst, wenn sie ein Meisterstück der Schiffsbaukunst war wie die St. Gabriel.
Wieder senkte sich der Rumpf ein Stück tiefer ins Wasser. Andrej
spürte, wie das Holz unter seinen Füßen arbeitete. Die Spanten und
Balken knarrten unter dem ungewohnten Druck des Wassers, das im
Rumpf immer höher stieg. Er fühlte, wie sich das Schiff kurz auf die
Seite legte und dann mit einem trotzigen Ruck
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