Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Augenwinkeln erregte seine Aufmerksamkeit. Andrej drehte sich halb herum und wurde mit einem Anblick belohnt, der ihm einen eisigen Schauer über den Rücken laufen
ließ. Die St. Gabriel sank immer rascher. In den wenigen Augenblicken, die seit dem Ablegen des Bootes vergangen waren, hatte das
Wasser bereits das Deck überflutet und begann an der Reling emporzusteigen. Romegas hatte Recht gehabt - er hätte keine Minute länger
an Bord bleiben dürfen, ohne am Ende tatsächlich noch mit seinem
sinkenden Schiff unterzugehen.
Das goldene Funkeln, das er gesehen hatte, war das Blitzen eines
verirrten Sonnenstrahles, der sich auf den weit gespannten, mit Blattgold belegten Flügeln des geschnitzten Engels am Bug des Schiffes
brach. Gerade als Andrej hinsah, berührten Brust und Beine der Figur das Wasser, und auch wenn er genau wusste, wie unsinnig dieser
Gedanke war, war er doch einen Augenblick lang sicher, dass sich
die überlebensgroße Figur bewegte. Ihre Flügel schienen sich noch
weiter zu spreizen, als versuche sie, sich von ihrem geschnitzten Untergrund loszureißen und in die Luft emporzuschwingen, um dem
nassen Grab zu entgehen, das ihre Belohnung für all das werden sollte, was sie jahrelang für die Männer, die unter ihrem Schutz standen,
getan hatte.
Aber es war natürlich lediglich ein verwirrendes Wechselspiel zwischen Licht und sprudelndem Wasser, das diesen Eindruck hervorrief, und das offensichtlich nicht nur bei ihm, denn Andrej entgingen
keineswegs die verwirrten, teils sogar erschrockenen Blicke, die die
Ruderer ringsum miteinander tauschten.
Das Schiff sank immer schneller. Bald ragten nur noch das Achterkastell und ein kleiner Teil des höher gelegenen Bugs aus dem Wasser. Das Letzte, was Andrej von der geschnitzten Figur des heiligen
Gabriel sah, war ein goldenes Funkeln, das rasch in die Tiefe sank.
Zurück blieb ein bitteres Gefühl. Die straff gespannten Seile, zwischen denen sich das kleine Ruderboot vorsichtig hindurchmanövrierte, ließen die Galeere behutsam weitersinken, aber es war längst
zu spät, den Prozess wieder umzukehren. Die St. Gabriel war dahin.
Alles, was blieb, war der böse Triumph in Romegas’ Augen und das
immer noch anhaltende Gefühl, einen Freund verraten zu haben.
Andrej wandte sich mit einem Ruck ab und sah zum näher kommenden Ufer hin. Einige Sklaven kauerten erschöpft auf dem Boden.
Sie hatten offensichtlich nicht mehr die Kraft, die großen Winden zu
bedienen, die das Schiff auch jetzt noch in der Balance hielten, so
lange, bis es auf dem Grund des Hafenbeckens aufgesetzt hatte. Die
anderen hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen und taten ihr Möglichstes, um den Aufsehern keinen weiteren Grund zu liefern, ihre
Peitschen zu schwingen.
Die Männer, die vorhin von der Burg herabgekommen waren, bildeten mittlerweile einen lockeren, aber undurchdringlichen Kordon
zwischen den Sklaven und der zusammengelaufenen Menge aus
Schaulustigen. Auch die einzelne hoch gewachsene Gestalt in
Schwarz war ein Stück näher gekommen. Abu Dun war nicht allein.
Andrej entdeckte Julias schwarzes Haar unmittelbar neben ihm. Mit
Sicherheit war auch Pedro nicht weit, selbst wenn er ihn gerade nirgendwo sehen konnte.
»Euer Heidenfreund ist gekommen, um Euch zu applaudieren«,
sagte Romegas, dem Andrejs Blicke nicht verborgen geblieben waren. Andrej widerstand der Versuchung, sich zu ihm umzudrehen. Er
war sicher, dass es ihm dann nicht mehr möglich gewesen wäre, zu
schweigen. »Zweifellos genießt er den Anblick, ein christliches
Schiff untergehen zu sehen.«
Andrej war klar, dass Romegas es offensichtlich mit aller Macht
darauf anlegte, ihn zu einer unbedachten Äußerung oder gar
Schlimmerem zu provozieren. Zweifellos hatte er etliche Männer am
Ufer postiert, die sie genau beobachteten und La Valette und den
anderen über jede Reaktion Andrejs Bericht erstatten würden. Er
schwieg beharrlich weiter.
Als das Boot noch vier, fünf Meter von der Kaimauer entfernt war,
stand er auf, federte kurz in den Knien und sprang mit einem einzigen kraftvollen Satz auf das höher gelegene Ufer hinauf - eine Bewegung, die bei den Zuschauern mehr als nur flüchtiges Stirnrunzeln
oder ein überraschtes Hochziehen der Augenbrauen zur Folge hatte.
Ein weiterer Punkt auf der langen Liste von Dingen, die er besser
nicht getan hätte. Angefangen von der Entscheidung, überhaupt nach
Malta zu kommen.
Die Soldaten, die die Sklaven von den Zuschauern trennten, traten

Weitere Kostenlose Bücher