Der Gejagte
dann fuhr er auf dem Absatz
herum und stürmte hinaus. Andrej hörte ihn draußen auf dem Gang
Kommandos brüllen, während er sich mit schnellen Schritten entfernte. Die meisten seiner Männer folgten ihm, einige aber blieben
unter der Tür stehen, offensichtlich unschlüssig, was sie tun sollten.
»Geht«, sagte Starkey. »Es besteht keine Gefahr. Ihr könnt uns allein lassen. Und schließt die Tür hinter euch.«
Die Männer gehorchten. Starkey wartete, bis sie allein waren, und
trat dann, ohne etwas zu sagen, an das zerbrochene Fenster, um hinauszusehen. Von draußen drang immer noch das schrille Gebimmel
der Alarmglocke herein, und ein Windstoß fuhr ins Zimmer und wirbelte einige Papiere durcheinander, nun, wo es das schützende Glas
nicht mehr gab. Der Engländer wandte ihnen den Rücken zu, während er auf den Hof hinuntersah, doch Andrej konnte sich den Ausdruck auf seinem Gesicht dennoch lebhaft vorstellen. Er suchte nach
etwas, das es dort unten nicht gab.
»Wir danken Euch, Chevalier Delãny«, sagte Starkey, nachdem er
sich endlich wieder umgedreht und erst ihn und dann den Nubier mit
einem langen Blick gemustert hatte. »Und auch Euch, Abu Dun…
das war doch Euer Name?«
Abu Dun nickte und Starkey fuhr nach einer weiteren, bedeutungsschweren Pause fort: »Ohne Euch wären wir jetzt wohl tot oder
Schlimmeres. Ihr hättet wirklich keinen Augenblick später kommen
dürfen.«
Zu diesem Schluss war Andrej auch schon gekommen.
Aber etwas an diesem Gedanken störte ihn. Sie alle hatten gesehen,
wie unvorstellbar schnell der Fremde sich bewegte. Selbst wenn er
das Zimmer nur kurz vor ihnen betreten hätte, hätte er mehr als genug Zeit gehabt, La Valette und den Engländer zu töten. Und ihr
Gegner war auch kein Mann von der Art, die es liebten, mit ihren
Opfern zu spielen, bevor sie sie umbrachten. Warum aber sonst hatte
er sich so viel Zeit gelassen? War es möglich, dass er ganz bewusst
gewartet hatte, bis Abu Dun und er dort waren? Und wenn ja, warum?
Andrej nahm Starkeys ehrlich gemeinten Dank mit einem stummen
Nicken an. »Darf ich eine Frage stellen?«
»Wenn Ihr uns zuvor eine Frage beantwortet, ja«, sagte La Valette.
Er saß noch immer vornübergebeugt auf seinem Stuhl, mit hängenden Schultern und am ganzen Leib zitternd. Sein Gesicht war grau,
aber Andrej war sicher, dass es nicht die Folgen des Sturzes waren,
die dem Großmeister zu schaffen machten. »Was tut Ihr hier? Euer
Platz ist im Ordenshaus, Delãny, und Eurem Freund wurde es zwar
gestattet, sich auf der Insel aufzuhalten, aber nicht hier.«
Andrej gelangte nach kurzem Überlegen zu dem Schluss, dass ihnen in diesem Moment mit der Wahrheit vermutlich am besten gedient war. »Abu Dun ist auf der Suche nach jemandem«, sagte er und
erläuterte mit knappen Worten, was mit Pedro geschehen war und
weshalb er sich widerwillig dazu bereit erklärt hatte, Abu Dun Zutritt
zum Fort zu verschaffen - wobei er natürlich nur von Pedro erzählte
und kein Wort darüber verlor, dass sie die Anwesenheit eines Vampyrs gespürt hatten. »Das Tor stand offen. Der Wächter war nicht auf
seinem Posten und als wir den Hof erreichten, glaubte ich einen
Schrei zu hören. Und da ich wusste, dass Ihr die heutige Nacht hier
verbringen würdet, haben wir nachgesehen.«
»Keinen Augenblick zu früh«, sagte Starkey. Er tauschte wieder einen jener sonderbaren Blicke mit La Valette, die Andrej immer unerklärlicher wurden, wenn er auch sicher war, dass sie eine Bedeutung
haben mussten. »Also haben wir unser Leben dem Übermut eines
Knaben und dem Ungehorsam eines Heiden zu verdanken«, sagte La
Valette kopfschüttelnd. Er lächelte bei diesen Worten, klang aber
nicht amüsiert. »Nun, ich glaube, in diesem speziellen Fall können
wir darauf verzichten, den Muselmanen für seinen Ungehorsam zu
bestrafen, oder was meint Ihr, mein lieber Freund?«
Die Frage galt Starkey, der mit einem flüchtigen Lächeln und einem Augenzwinkern in Andrejs Richtung darauf reagierte und hinzufügte: »Ich werde in den Gesetzbüchern nachschlagen und nach einer
Regel suchen, die es uns erlaubt, eine Ausnahme zu machen. Und
sollte eine solche nicht existieren, erfinde ich sie eben. Darüber hinaus werde ich gleich nach dem Morgengebet Anweisung geben, den
Knaben zu suchen und ihn nach Hause zu schicken.« Er schüttelte
den Kopf. »Was ich vermutlich auch ohne Eure Heldentat getan hätte, Abu Dun, hätte ich davon gewusst. Uns steht ein Krieg bevor.
Kein
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