Der Gejagte
Nachhinein anerkennen musste,
denn nach der schlechten Nachricht, die sie gerade gehört hatten, war
der Anblick eines riesigen schwarzen Mannes mit einem Turban
vermutlich das Letzte, was die Männer brauchten. Er musste sich
beeilen, um Abu Dun aus dem Fort zu schaffen, bevor dessen gesamte Besatzung auf den Beinen war.
»Bleibt, Delãny«, sagte Starkey.
Andrej hatte sich schon halb herumgedreht, machte jetzt jedoch
mitten in der Bewegung kehrt und sah den Engländer überrascht,
aber auch ein wenig verärgert an. »Da wäre noch etwas, was ich besser vor Sonnenaufgang…«
»Um Euren Freund kümmert man sich bereits, keine Sorge«, unterbrach ihn Starkey. Die Freundlichkeit, die er Andrej früher stets entgegengebracht hatte, war verschwunden. Er fragte sich, ob er sich
vielleicht doch in diesem Mann getäuscht hatte.
»Herr?«, fragte er.
La Valette sah nicht in seine Richtung, aber er machte eine kaum
wahrnehmbare Geste mit der linken Hand, die vermutlich jedem anderen auf dem Turm entging, nur Andrej nicht. Starkey fuhr im selben, unerwartet kühlen Ton fort: »Chevalier Romegas und seine
Männer suchen immer noch nach dem Attentäter. Ich möchte, dass
Ihr sie dabei unterstützt.«
»Was kann ein einzelner Mann erreichen, was hundert nicht schaffen?«, fragte Andrej und hätte sich am liebsten selbst für diese Worte
geohrfeigt, als er sah, wie La Valette nun doch kurz den Kopf drehte
und seinem Sekretär einen bezeichnenden Blick zuwarf.
»Hättet Ihr mir diese Frage vor einer halben Stunde gestellt, hätte
ich sie mit ›Nichts‹ beantwortet«, antwortete Starkey. »Aber jetzt…«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bezweifle, ob Romegas und all
seine Soldaten so viel ausrichten können wie Ihr. Zumindest wisst Ihr
offensichtlich mehr über diese besonderen Männer des Sultans. Ihr
werdet ihm helfen. Durchkämmt das ganze Fort, und wenn das nicht
reicht, die ganze Stadt. Bis wir wissen, was die Türken tun und wo
sie angreifen werden, könnt Ihr Euch so viele Männer nehmen, wie
Ihr braucht. Ich will diesen… Dämon haben.«
19. Mai 1563, später Nachmittag im Kapitelsaal des Johanniterordens im Fort St. Angelo
»Nein, nein und nochmals nein!«, fluchte La Valette und ließ seine
geballte Faust mit einer Wucht auf die Tischplatte krachen, die nicht
nur Andrej diesem gebeugten, schmalen Mann nicht zugetraut hätte.
»Ich kann keinen einzigen Mann entbehren. Wir werden gewiss keine weiteren Verstärkungen nach Mdina schicken! Und auch sonst
nirgendwo hin!«
Andrej konnte sich nicht erinnern, den Großmeister jemals so aufgebracht erlebt zu haben. Auch Sir Starkey, der sonst immer schweigend über seinen Papieren brütete und selten an einem Gespräch teilnahm, hob nun den Kopf und runzelte überrascht die Stirn.
»Ich muss Euch doch nicht an Eure Pflichten als Lehnsherr…«,
setzte der hagere Ritter an, der vor einer Stunde gekommen war und
als Gesandter des maltesischen Adels vorsprach, brach aber dann ab
und biss sich auf die Unterlippe, anstatt seine Rede zu Ende zu führen, als ihn ein eisiger Blick aus La Valettes Augen traf.
»Meine Pflichten?«, fragte La Valette in schneidendem Ton. »Dies
ist wohl eher der Moment, in dem ich den Adel an meine Rechte erinnern sollte! Ich könnte jeden waffenfähigen Mann dazu aufrufen,
sich hier in der Festung einzufinden! Ich habe durchaus das Recht
dazu, falls Ihr es vergessen haben solltet! Und wenn Eure Herren
mich für undankbar halten, dann mögen sie sich in Erinnerung rufen,
mit wessen Geld die Stadtmauern von Mdina erneuert worden sind
und mit wessen Geld sich der Adel dieser Insel die Taschen gefüllt
hat! Bevor wir hergekommen sind, hat es mancherorts Hühnerställe
gegeben, die besser befestigt waren als Eure so genannte Hauptstadt!«
Sein Gegenüber antwortete immer noch nicht, aber er stand nun
nicht mehr stocksteif vor La Valettes Tisch, sondern begann unbehaglich von einem Bein auf das andere zu treten und die Hände zu
kneten. Er trug kostbare, wenn auch leicht abgetragene Gewänder:
eine eng anliegende Hose, ein geschlitztes Wams mit Silberstickerei
und Perlen, dazu einen kurzen Reitumhang und einen breitkrempigen
Hut mit auffallendem Federschmuck. Nicht unbedingt die passende
Kleidung, dachte Andrej belustigt, um in einer Situation wie dieser
vor einem Mann wie La Valette zu erscheinen und Forderungen zu
stellen.
»Aber…«, versuchte er es noch einmal.
La Valette unterbrach ihn sofort in noch schärferem
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