Der Gejagte
seine Papiere gebeugt, dass seine Nasenspitze das
brüchige Pergament fast zu berühren schien. Seine Feder verursachte
unangenehme kratzende Geräusche. »Mein Freund hat sich seiner
und seiner Mutter angenommen«, antwortete er gepresst. »Und gegenwärtig ist er auf der Suche nach dem Jungen.«
»Ah ja, ich entsinne mich«, sagte La Valette. »Da war doch diese
seltsame Geschichte… Hieß es nicht, er habe sich den freiwilligen
Verteidigern der Burg angeschlossen?«
Andrej musste sich beherrschen, um nicht aus der Haut zu fahren.
Starkey beugte sich tiefer über seine Papiere und das Kratzen seiner
Schreibfeder wurde hektischer, während La Valette Andrej einen
Moment lang vollkommen ausdruckslos anstarrte. Dann setzte er sich
mit einem übertriebenen Ächzen in dem hochlehnigen, thronähnlichen Stuhl auf, in dem er den maltesischen Ritter empfangen hatte,
und fuhr im selben beiläufigen Ton fort.
»Ich habe meine zuverlässigsten Männer ausgesandt, um nach ihm
zu suchen. Es gibt eine Menge Freiwilliger, unter denen ein einfacher
Fischerjunge wie er nicht besonders auffällt, doch ich bin sicher, am
Ende werden wir ihn finden. Und, was macht Eure Suche nach dem
Attentäter, Chevalier?«
Andrej bemerkte zu seinem Erstaunen, wie sich Starkey noch tiefer
über seine Papiere beugte. Er konnte dessen Gesicht nicht sehen,
aber vor seinem inneren Auge sah er das schadenfrohe Grinsen des
Engländers umso deutlicher. »Wir werden ihn finden«, antwortete er
gepresst. »Keine Sorge.«
»So, wie wir den Jungen«, pflichtete ihm La Valette bei. Bevor
Andrej etwas erwidern konnte, unterbrach er ihn mit einer wedelnden
Handbewegung, die im krassen Gegensatz zu den müden Gesten
stand, die er bisher gezeigt hatte. »Seid versichert, dass dem Jungen
nichts geschehen wird. Sein Leben und seine Gesundheit sind ebenso
sicher wie die meine.«
War das eine Drohung?, fragte sich Andrej. Er versuchte vergeblich, in La Valettes Gesicht zu lesen, und kam zu dem Schluss: Ja, es
war eine. Was hatte er von einem Mann wie ihm auch erwartet?
»Ich habe Euch rufen lassen, weil ich eine besondere Aufgabe für
Euch und Euren Freund habe«, wechselte La Valette das Thema. Er
deutete auf eine großformatige Karte der Insel, die vor ihm ausgebreitet lag und einen Gutteil der riesigen Tischplatte einnahm. Gehorsam trat Andrej vor und musterte das Gewirr von dünnen Linien
und akribisch gemalten Buchstaben und Worten.
»Die Türken haben uns gleich mit ihrem ersten Schachzug überrascht«, begann La Valette. »Ein schlechter Auftakt für uns. Wir alle
hier im Rat haben damit gerechnet, dass sie in der Bucht von Marsascirocco landen würden, um dann unverzüglich mit dem Vormarsch auf unsere Befestigungen am großen Hafen zu beginnen.
Dies wäre der schnellste Weg, eine Entscheidung herbeizuführen,
und, nebenbei bemerkt, genau die Taktik, die ich gewählt hätte. Fällt
der Hafen, so sind der Orden und die Insel verloren. Doch stattdessen
bewegt sich die Flotte augenblicklich in südwestlicher Richtung.
Chevalier Romegas folgt ihnen mit unseren drei verbliebenen Galeeren, um sie aus sicherem Abstand zu beobachten.« Mit seiner Hand
vollführte er kleine, hektische Bewegungen, als wollte er die auf der
Karte beschriebenen Manöver nachvollziehen.
Andrej fragte sich, warum La Valette ihm das erzählte. Dies alles
waren für ihn keine Neuigkeiten - zu einem nicht geringen Teil
stammten die Informationen sogar von Abu Dun und ihm selbst.
»Großmarschall Cocier führt eine Reiterabteilung entlang der Küste, um sie ebenfalls zu beobachten«, fuhr La Valette fort. »Er hätte
längst einen Meldereiter losschicken müssen, um uns Bericht zu erstatten. Die verdammten Osmanen wollen mich vielleicht dazu verleiten, Truppen aus unserer Hauptverteidigungsstellung abzuziehen.
Wenn sie von Westen her angreifen und zuerst Mdina erobern, haben
sie bei einer späteren Belagerung des Hafens keine Feinde im Rücken mehr zu fürchten. Es würde ihnen auch leichter fallen, uns von
jedem Nachschub abzuschneiden.« Er schüttelte besorgt den Kopf
und seine müden Augen huschten über die Karte. Seinem Blick nach
zu schließen, sah er sehr viel mehr als bloß mit Tinte gemalte Linien
und Worte vor sich. »Viele unserer Gefährten sind der Meinung, wir
sollten in dem Augenblick angreifen, in dem die Türken am verletzlichsten sind - dann, wenn sie versuchen, ihre Truppen an Land zu
bringen.« Abermals schüttelte La Valette den Kopf.
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