Der Gejagte
sicher war, ob es sich nicht eher um Deserteure handelte, die auf eine günstige Gelegenheit warteten, die Insel zu verlassen,
hatte lautstark damit geprahlt, wie sie den Türken mit ihren Musketen einen heißen Empfang bereiten würden.
In einer dunklen Nische hatte Andrej ein junges Pärchen in leidenschaftlicher Umarmung gesehen. Vor allem dieses Bild war ihm in
lebhafter Erinnerung geblieben, hatte es ihm doch einen tiefen,
schmerzhaften Stich versetzt. Es war lange her, dass er eine Frau in
den Armen gehalten hatte; zumindest eine, die ihm etwas bedeutete
und die er nicht mit Alkohol und Geschenken gefügig gemacht hatte.
Nicht, dass es an Gelegenheiten gemangelt hätte. Mit seiner Größe,
seinem langen, tiefschwarzen Haar, seiner muskulösen Gestalt und
den dunklen, aufmerksamen Augen war Andrej für viele Frauen attraktiv, aber er hatte die Nähe von Frauen, die mehr als Geld oder
Geschenke von ihm wollten, fast ängstlich gemieden. Zweimal in
seinem langen Leben hatte er eine Frau wirklich geliebt, und beide
Male war sie ihm genommen worden. Auch wenn das sehr lange
zurücklag, war er doch immer noch nicht sicher, ob er so etwas noch
ein drittes Mal verkraften könnte.
Vielleicht fiel es ihm deshalb so schwer, Zeuge von Abu Duns
Glück zu werden. Er gönnte dem Nubier seine Liebe zu der jungen
Witwe von Herzen, doch er wusste auch, wie schrecklich schnell die
glückliche Zeit für seinen Freund vergehen würde. Selbst wenn Julia
die bevorstehende Schlacht überlebte und nicht in Gefangenschaft
geriet oder verschleppt wurde, so würden Abu Dun und ihr nur wenige Jahre bleiben. Ein Menschenleben war eine Ewigkeit für sie,
ging aber für einen Unsterblichen nur allzu rasch vorüber. Andrej
wusste aus eigener Erfahrung, um wie vieles länger der Schmerz
anhielt als das Glück.
Musik drang an seine Ohren. Andrej fuhr aus seinen Gedanken
hoch. Ihm wurde plötzlich klar, dass er die letzten Meilen zurückgelegt hatte, ohne zu registrieren, wohin er ritt oder was rechts und
links des Weges lag. Er befand sich auf leicht abschüssigem Gelände, nicht weit von der Steilküste entfernt. Sowohl auf dem Wasser
rechts neben ihm als auch vielleicht eine gute Meile entfernt vor ihm
brannten Lichter. Er hörte Gelächter, Fetzen einer schrillen, fremd
anmutenden Musik, dumpfen Trommelschlag, das Wiehern von
Pferden. Andrej erschrak, als er begriff, dass nicht nur La Valettes
schlimmste Befürchtungen wahr geworden und die Türken bereits
gelandet waren, sondern er nahe daran gewesen war, blindlings in sie
hineinzustolpern.
Mit angehaltenem Atem sah er sich um und lauschte. Die Lichter
vor ihm mussten die Zejtuns sein, eines kleinen Ortes, von dem er
gehofft hatte, dort Marschall Cocier und seine Truppen anzutreffen.
Wenn er tatsächlich dort gewesen war, dann war er vermutlich nicht
mehr am Leben. Das Dorf war ebenso hell erleuchtet wie alle anderen, durch die er bisher gekommen war, aber die Wort- und Musikfetzen, die an sein Ohr drangen, hatten keinen europäischen Klang.
Vermutlich war es reines Glück, dass er nicht längst von einem der
Posten entdeckt worden war, die die Türken sicherlich aufgestellt
hatten.
Lautlos ließ er sich aus dem Sattel gleiten, band das Pferd an einem
verkrüppelten Baum an und legte den Rest der Strecke bis zum Ortsrand zu Fuß zurück.
Seine Vorsicht erwies sich als keineswegs übertrieben. Obwohl die
türkischen Soldaten in der Ortschaft lärmten und sich offensichtlich
völlig sicher fühlten, war ihr Kommandant doch kein Dummkopf.
Schon bald stieß Andrej auf die erste Wache, einen Mann, der in die
knorrige Krone eines Olivenbaumes hinaufgestiegen war und einen
schwarzen Mantel und einen ebensolchen Turban trug, die ihn in der
Dunkelheit hervorragend verbargen. Doch Andrej fiel es nicht
schwer, den Posten in sicherem Abstand zu umgehen, so wie es ihm
auch gelang, außer Sicht- und Hörweite der anderen Wachen zu bleiben, die die Invasoren in weitem Kreis um den Ort herum postiert
hatten. Er konnte ihre Atemzüge hören und ihren Schweiß riechen;
wäre der Lärm aus dem Dorf nicht gewesen, hätte er wahrscheinlich
das Schlagen ihrer Herzen gehört. Dennoch zollte Andrej dem
Kommandanten dieser Männer im Stillen Respekt. Er hatte oft genug
erlebt, wie leichtsinnig ein vermeintlich leichter Sieg einen überlegenen Angreifer werden lassen konnte. Ohne seine scharfen Sinne hätte
er nicht die Spur einer Chance gehabt, sich dem Ort
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