Der Gejagte
unentdeckt zu
nähern.
Er brauchte nahezu eine halbe Stunde, bevor er im Dorf war und
sich behutsam in den Schatten eines der niedrigen, weiß verputzten
Häuser presste, um einen aufmerksamen Blick über den kleinen Platz
vor ihm schweifen zu lassen. Nach dem Stand der Sterne schätzte
Andrej, dass es noch eine Stunde bis Mitternacht war; so blieben ihm
höchstens sechs Stunden bis zum Morgengrauen. Er sollte sich besser beeilen.
Auf dem Dorfplatz brannte ein halbes Dutzend großer Lagerfeuer.
Von den Einwohnern der Stadt war ebenso wenig zu sehen wie von
den Männern, nach denen Andrej eigentlich suchte. Was für Cociers
Reiter galt, das galt wohl auch für die Bewohner dieser unglückseligen Stadt, die das Schicksal möglicherweise als Erste getroffen hatte:
Sie waren entweder fortgeschafft worden oder tot.
Er erblickte mindestens hundert Janitscharen, die rote und grüne
Kaftane trugen, dazu weit geschnittene Hosen und hohe Mützen.
Viele der Krieger hatten lange Dolche oder kleine Äxte in ihren geschmückten breiten Gürteln stecken, nur wenige trugen Schwerter.
Von seiner Position aus konnte Andrej auf keiner Waffe Blutspuren
entdecken; auch seine übermenschlichen Sinne suchten vergeblich
nach Anzeichen eines Kampfes. Die Männer saßen in lockeren
Gruppen um die Lagerfeuer herum, lachten und warfen sich Scherzworte zu, die Stimmung war entspannt.
Ein leichter Pulvergeruch hing in der Luft und an einer Hauswand
lehnte eine Anzahl langläufiger Musketen - Waffen einer Art, die
Andrej zwar noch nie selbst gesehen, von denen er aber wahre
Schauergeschichten gehört hatte. Ihre Geschosse vermochten angeblich jeden Brustpanzer zu durchschlagen. Seit die Janitscharen angekommen waren, hatten sie jedoch höchstens drei oder vier Schüsse
abgefeuert und sie hatten nichts getroffen.
Andrej blieb noch eine geraume Weile in seinem Versteck, kam aber schließlich zu dem Schluss, dass er dort nichts Interessantes mehr
entdecken würde. Er wusste nun, dass die Invasion, die La Valette
und die anderen Johanniter so mühsam abzuwehren planten, in
Wahrheit längst begonnen hatte.
Er entfernte sich ebenso lautlos wieder, wie er gekommen war,
schlich dorthin zurück, wo er seinen Hengst zurückgelassen hatte,
und verbarg das Tier in einer der zahllosen schmalen Schluchten, die
die Küste säumten. Von dort aus war es noch etwas mehr als eine
Meile bis zur Bucht von Marsascirocco. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde er Cocier und seine Reiter auch dort nicht finden, doch er
nahm sich vor, zumindest noch einen Blick auf diesen strategisch
wichtigen Punkt zu werfen und dann umzukehren. Wenn er sich sputete (und Abu Dun nicht über den Weg lief), konnte er bis Sonnenaufgang zurück im Fort St. Elmo sein, um La Valette und den anderen von seinen Entdeckungen zu berichten.
Der Weg führte durch unebenes, von kärglichem Gestrüpp und von
der Sonne zu schwarzen Skeletten verbrannten Bäumen bedecktes
Gelände. Geduckt von Fels zu Fels schleichend, umging Andrej zwei
Patrouillen der Türken.
Sein Optimismus, diesen kleinen Ausflug in kürzester Zeit hinter
sich zu bringen und endlich zurückkehren zu können, sank mit jedem
Schritt, den er sich der Bucht näherte. Der Himmel über dem Meer
war rot vom Widerschein zahlloser Feuer und Positionslampen, die
an Deck der Schiffe brannten.
Was er schon in Zejtun festgestellt hatte, galt dort umso mehr: Die
Türken waren äußerst vorsichtig und ließen sich von ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit nicht dazu verleiten, nachlässig zu werden. Überall auf den Felsen rings um die Bucht brannten Feuer und die Invasoren hatten im Abstand von fünfzig Schritten Posten aufgestellt,
die das vermeintlich reglos daliegende Land ringsum aus aufmerksamen, scharfen Augen beobachteten. Andrej musste all sein Geschick und jeden noch so kleinen Trick, den er im Laufe seines langen Lebens gelernt hatte, aufwenden, um ungesehen zwischen ihnen
hindurch bis zum Rand der Steilküste zu gelangen.
Sein Herz tat einen erschrockenen Sprung, als er in die Tiefe blickte. Im ersten Moment hatte er das Gefühl, die komplette türkische
Flotte sei in der weitläufigen Bucht vor Anker gegangen. Natürlich
stimmte das nicht, doch nachdem Andrej seine Überraschung überwunden hatte und die Zahl der als gedrungene schwarze Schatten auf
dem Meer daliegenden Schiffe rasch überschlug, kam er auf weit
mehr als hundert. Diese Flotte allein, dachte er schaudernd, wäre
mehr als
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