Der Gejagte
Geschosse Abu Dun getroffen hatten. Andrej nahm jedoch darauf
keine Rücksicht, sondern sprengte los, hielt das Tier mit einem Ruck
wieder an, als er neben Abu Duns Pferd angelangt war, und griff
nach dessen Zügeln. Der Hengst scheute und versuchte sogar, nach
Andrej zu beißen, dann aber bekam dieser die Zügel zu fassen und
brach den Widerstand des Tieres mit einem einzigen harten Ruck. So
schnell es auf dem schmalen Weg möglich war, zwang er es kehrtzumachen. Gerade als er das geschafft hatte, tauchten Abu Duns
Kopf und Schultern keine zehn Meter hinter ihm über der Klippe auf.
»Andrej, was zum Teufel hast du vor?«, brüllte er. »Halt sofort an
oder ich schwöre dir, dass ich…«
Andrej hörte nicht hin. Er rammte seinem Pferd die Stiefelabsätze
in die Flanken. Das Tier stieß ein erschrockenes Wiehern aus und
schoss wie von der Sehne geschnellt los, zusammen mit Abu Duns
Hengst, den Andrej mit eisernem Griff am Zügel festhielt.
Erst als sie den schwierigsten Teil des Weges hinter sich gebracht
hatten und eine sichere Distanz zwischen ihm und dem Nubier lag,
ritt Andrej wieder langsamer. Schließlich hielt er an und drehte sich
im Sattel um.
Abu Dun war ein Dutzend Schritte hinter ihm hergerannt, hatte
dann aber die Sinnlosigkeit seines Tuns eingesehen. Zwar vermochte
er schneller zu laufen als jeder andere Mensch, aber mit einem gut
trainierten Schlachtross konnte er nicht mithalten. Er hatte die Hände
wütend zu Fäusten geballt und funkelte Andrej so zornig an, dass
dieser es selbst über die große Entfernung hinweg zu sehen glaubte.
»Du bist wahnsinnig, Hexenmeister«, schrie er. »Er wird dich umbringen!«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, rief Andrej. Er schüttelte
den Kopf. »Ich binde dein Pferd in zwei, drei Meilen Entfernung an
einen Baum. Folge einfach dem Pfad.«
»Was hast du vor?«, schrie Abu Dun zurück.
»Ich werde ihn suchen«, antwortete Andrej. »Mach dir keine Sorgen um mich. Geh zurück zu Julia und pass auf sie auf. Wir treffen
uns dort.«
20. Mai 1565, nach Sonnenuntergang, in der Nähe von Zejtun
Wie er es versprochen hatte, hatte er Abu Duns Pferd am Wegesrand an einen Baum gebunden, allerdings nicht drei, sondern gut
sechs Meilen entfernt von der Stelle, an der er den Nubier zurückgelassen hatte. Drei Meilen - das war eine Entfernung, die Abu Dun,
ohne sich allzu sehr anzustrengen, in einer halben Stunde zurücklegen konnte. Andrej traute ihm durchaus zu, ihn in seiner Wut sogar
noch weiter zu verfolgen. Er an seiner Stelle hätte es vermutlich getan.
Kurz darauf war die Sonne im Meer versunken, aber es war nicht
dunkel geworden. Obwohl noch kein Vollmond herrschte, lag ein
silbriger Schimmer über dem Land und überall brannten Lichter.
Alle Menschen warteten mit angehaltenem Atem auf den ersten
Schuss der Schlacht, die nur zu vielen von ihnen den sicheren Tod
bringen musste. Jedes Dorf, jedes Haus, jede noch so kleine Hütte
schien in dieser Nacht hell erleuchtet zu sein. Selbst auf manchen
Feldern brannten Fackeln, die die Menschen dort in den Boden gesteckt und einfach zurückgelassen hatten.
Auch die Straßen des kleinen Dorfes, durch das er vor einer halben
Stunde gekommen war, waren voller Menschen gewesen. So wie die
Küstenstraße, die von Birgu wegführte, war auch sie voller Wagen,
Karren und Vieh. Trotz der späten Stunde waren überall noch Menschen unterwegs, sodass Andrej sein riesiges Schlachtross nur mit
äußerster Vorsicht durch die Menge hatte dirigieren können. Er hatte
sich eine Decke um die Schultern geworfen, um den prachtvollen
Mantel zu verdecken, der ihn als Johanniter und somit Mitglied der
Besatzungsmacht verraten hätte, der Malta letzten Endes diese Invasion zu verdanken hatte - eine erbärmliche Tarnung, die aber erstaunlicherweise ihren Dienst zu tun schien. Die meisten Menschen waren
viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dem Fremden, der an ihnen vorbeiritt, mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Nur das
lange Schwert an seiner Seite hätte ihn verraten können, doch seine
Waffe unterschied sich deutlich von den kürzeren und viel breiteren
Klingen, die die Johanniter für gewöhnlich trugen.
Hier und da hatte er einzelne Gesprächsfetzen aufgeschnappt. Eine
junge Frau hatte lautstark behauptet, der Sultan selbst sei gekommen,
um Malta zu erobern und alle Jungfrauen der Insel in seinen Harem
verschleppen zu lassen. Ein versprengter Trupp Soldaten, von dem
Andrej nicht
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