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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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Minute lang beobachtete sie ihn nur. In der Zwischenzeit hatten alle anderen Mechaniker ihre Arbeit stehen und liegen lassen und drängten sich mit einigen Passanten um den Lastwagen, um das Drama einer Frau zu verfolgen, die es wagte, in eine Männerfestung einzudringen. Wariinga schaute nun nicht mehr auf den Motor, sondern begann, den Boden um den Lastwagen herum abzusuchen, als hielte sie nach etwas Verlorenem Ausschau. Schließlich fand sie ein Stück Holz, das die Form eines langstieligen Löffels hatte. Sie nahm es in die Hand und schlug damit gegen einen Stein, um den Staub abzuklopfen. Dann hielt sie das eine Ende des hölzernen Löffels an den Motor und das andere an ihr Ohr, genau so wie ein Arzt sein Stethoskop an die Brust eines Patienten hält, um den Herzschlag zu hören. Wariinga horchte mit dem Löffel verschiedene Stellen des Motors ab. Die Umstehenden konnten nicht begreifen, was sie tat. Plötzlich hielt Wariinga inne und konzentrierte sich auf ein seltsames Geräusch aus dem dritten Zylinder. Nun rief sie den Mann, der an dem Motor gearbeitet hatte, gab ihm das Stück Holz und sagte ihm, er solle horchen. Während er horchte, lachten einige Zuschauer über ihn, andere gaben sarkastische Kommentare über einen Mann ab, der den kindischen Einfällen einer verrückten Frau folge - hat es je schon etwas derart Verrücktes gegeben, daß einer versucht, mit einem bloßen Stückchen Holz den Defekt in einem Motor zu finden? Wariinga sagte zu dem Mann, er solle beschreiben, was er hörte. Und er antwortete prompt: »Ich höre nur das rauhe Geräusch von verbogenen Eisenstücken, die sich ineinanderfressen.« Wariinga fragte ihn: »Also, wo liegt der Fehler?« Nun hielten alle den Atem an. Der Mann, der noch vor einem Augenblick den großen Experten gespielt hatte, schaute ganz aufgeregt um sich, als suchte er bei den Umstehenden Hilfe. Und da ihm niemand zu Hilfe kam, senkte er den Blick, ein dicker Kloß steckte ihm im Hals und er stammelte: »Ich weiß es nicht!« Wariinga erklärte ihm nun, daß das besondere, unangenehme Geräusch von einer losen Schraube an der Verbindung von Pleuelstange und Kurbelwelle herrühre. Die Umstehenden klatschten. Einige gingen kopfschüttelnd weg und sagten: »DiesesWunder soll einer überbieten! Unsere Frauen wissen so viel!« Die anderen Arbeiter begrüßten sie nun als eine der ihren und erlaubten ihr, ihr Werkzeug mitzubenutzen, bis sie sich eigenes kaufen konnte.
    Von jenem Tag an entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen Wariinga und den anderen Arbeitern. Je deutlicher es wurde, wie gut Wariinga arbeitete und daß sie keiner Arbeit aus dem Weg ging, desto größer wurde ihre Achtung.
    Eines Tages brachte ein Mann seinen Wagen zur Inspektion. Als Wariinga die Motorhaube geöffnet hatte, kamen ihm zuerst Zweifel. Aber als er Wariingas Schönheit bemerkte, fing er an, mit ihr herumzuschäkern, und dann berührte er ihren Busen. Wariinga hob den Kopf, und als sie ihn anblickte, war in ihren Augen kein Lachen zu erkennen; ihre Stimme verriet weder Zustimmung noch Arger, als sie ihm ruhig, aber bestimmt sagte, er solle nicht mit ihr herumspielen: »Ich bin Arbeiterin. Sie sollten meine Arbeit aufgrund meiner Leistung respektieren oder ablehnen. Aber mein Busen ist nicht Teil dieser Arbeit. Ob ich nun schön oder häßlich bin, hat mit der anstehenden Arbeit nichts zu tun.« Der Mann betrachtete dies als das übliche, vorgetäuschte ›bis hierhin und nicht weiter‹ Beleidigtsein, das eine Frau bei einer Verführung benutzt. Und deshalb faßte er Wariinga, als sie sich nun wieder über ihre Arbeit beugte, noch einmal an und tätschelte ihren Po …
    Ich sag' euch! Die Lektion, die Wariinga ihm dann erteilte, hätte wahrscheinlich kein Mann, wer immer er auch gewesen sei, je vergessen. Denn Wariinga hatte sich wie der Blitz umgedreht, und innerhalb einer Sekunde versetzte sie ihm so viele Judotritte und Karatehiebe, daß er nur noch Sternchen vom Himmel regnen sah. Als sie ihn schließlich mit ihren Judogriffen zu Boden warf, flehte er sie an, aufzuhören. »Es tut mir leid!« Als der Mann wieder auf den Beinen stand, nahm er die Wagenschlüssel, ließ den Motor an, und selbst auf der geteerten Straße wirbelte eine Staubwolke hoch, als er wegfuhr.
    Ihr Ruf breitete sich in der ganzen Stadt aus. Die Achtung der anderen Arbeiter für sie stieg, und sie lobten ihren Fleiß, ihre Ausdauer und ihren Mut in den höchsten Tönen.
    Wariinga, Tochter der

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