Der gekreuzigte Teufel
können; denn du warst tot und bist wieder lebendig geworden; du warst verloren und bist gefunden worden. Kehre heim mit deiner Zukünftigen, daß wir uns miteinander an Leib und Seele erfreuen können. Gott hat das Rufen unserer Herzen gehört …«
»Morgen wird also das gemästete Kalb für dich geschlachtet werden!« sagt Wariinga zu Gatuiria.
»Nicht nur eines«, erwidert Gatuiria und lacht. »Sein Brief zeigt, daß er mich für den verlorenen Sohn hält, der in ein fernes Land zog und dort sein Gut mit Dirnen und Musik verpraßte. Ich bin sicher, er hat inbrünstig gebetet, daß ich heimkehre und aufhöre, die Perlen meines Lebens vor die Säue zu werfen.«
»Und was ist, wenn sie dahinterkommen, daß du noch immer die wertvollen Perlen vor die Säue wirfst?«
»Ich fürchte nichts … wenn er sieht, was ich ihm gebracht habe, wird sein Herz vor lauter Freude in Stücke springen.«
»In Stücke springen - wegen mir oder wegen deiner Komposition?« fragt Wariinga, und aus ihren Augen lacht es.
»Wie kannst du nur eine Schönheit wie dich mit einem Buch vergleichen, in dem bloß Noten stehen!« will Gatuiria wissen und tut so, als sei er etwas verärgert. »Du scheinst nicht wirklich zu wissen, wer du eigentlich bist. Seit dem Fest des Teufels kommst du mir an Leib und Seele verwandelt vor. Die tiefe Schwärze deiner dunklen Haut ist weicher und zarter als das kostbarste duftende Öl … Deine dunklen Augen leuchten heller als der hellste Stern in der Nacht … Deine Wangen gleichen zwei Früchten, reifer als die Brombeere … Dein Haar ist so kühl und schwarz und weich, daß alle Männer in seiner schwarzen Kühle Schutz vor der heißen Sonne suchen möchten … Deine Stimme klingt schöner als tausend und mehr Musikinstrumente … Wariinga, Geliebte, du bist die Musik meiner Seele …«
Seine Worte erschrecken Wariinga, ihr Gesicht verdüstert sich und das Lachen verschwindet aus ihren Augen. Wieso kamen Worte, die sie vor zwei Jahren gehört hatte, nun aus Gatuirias Mund? Wieso hörte sie aus Gatuirias Mund Worte aus einem Traum, den sie vor zwei Jahren geträumt hat? Wariinga möchte Gatuiria nichts von der Angst erzählen, die sie plötzlich ergriffen hat, und sie will auch nicht, daß Gatuiria noch mehr über ihre Schönheit spricht. Sie versucht, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
»Kannst du mir noch etwas über die Komposition erzählen?« fragt Wariinga. »Um ganz ehrlich zu sein, ich hätte nie geglaubt, daß man zwei ganze Jahre braucht, um eine Musik zu komponieren.«
»Musik, die die ganze Geschichte deines Landes erzählt? Musik, die von Hunderten von Instrumenten gespielt und von vielen hundert Stimmen gesungen werden soll? Und vergiß nicht, du mußt genau festlegen, wo jedes Instrument und jede Stimme einsetzt! Meine liebe Freundin! Du mußt unterscheiden zwischen Musik und der Musik ! Zwischen einem Lied und dem Lied ! Eines will ich dir sagen - hätte ich dich nicht kennengelernt und hätten wir uns nicht in die Augen geschaut und hätte die Liebe meinem Herzen nicht Flügel verliehen - ich weiß nicht, ob es mir jemals gelungen wäre, diese Komposition zu vollenden. Aber so hatte ich selbst dann, wenn ich mich in mein Arbeitszimmer eingeschlossen hatte, die Schönheit deines Gesichtes vor Augen, das mir zunickte, als wollte es mich drängen, weiterzumachen … Vollende dein Werk, Geliebter, damit wir uns zusammen auf die Reise machen können … das Geschenk, das dich nachher erwartet, ist etwas ganz besonderes …«
Und deshalb hatte Gatuiria beschlossen, daß die fertige Partitur der Verlobungsring für Wariinga sein sollte. Er hatte beschlossen, vor den Augen seiner Eltern in Nakuru Wariinga das vollendete Werk zu übergeben. Und außerdem hatte er beschlossen, daß die Uraufführung am Abend ihrer Hochzeit stattfinden sollte. Der morgige Sonntag wird nun die erste Station auf dem Wege sein, der ihre Herzen für immer zusammenführen wird. Im Laufe der Feierlichkeiten am morgigen Tag beabsichtigt Gatuiria, ihr die zweihundert Seiten dicke Partitur zu schenken - die Früchte von zwei Jahren, in denen er sein Herzblut für diese Arbeit vergossen hat …
»Ich habe dich nach der Musik gefragt, und nicht nach meinem Gesicht«, sagt Wariinga und versucht noch immer, das Gespräch von sich abzulenken.
Gatuiria gehen alle die Schwierigkeiten durch den Kopf, mit denen er während des Komponierens konfrontiert war. Er überlegt, wie er ein Werk von zweihundert Seiten mit wenigen
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