Der gekreuzigte Teufel
sein Lampenfieber völlig verlassen, denn Ndaaya wa Kahuria begann nun in allen Einzelheiten aufzuzählen, wie er Löcher in Maiskörner bohrte, wie er sie dann auf einen Nylonfaden fädelte, die Körner den Hühnern vorwarf und dabei den Faden in der Hand hielt, wie er dann die Hühner mit einem Singsang lockte und zum Fressen ermutigte: kurukurukuru … kurukurukuru … kurukurukuru … Und wo er war, mitten auf dem Podium, bückte sich Ndaaya wa Kahuria tief hinab, er bewegte seine Arme hin und her, als sähe er wirkliche Hühner vor sich, und da fing er auch schon an zu rufen: kurukurukuru … kurukurukuru …
Aber noch ehe er seine Geschichte zu Ende bringen konnte, begannen die Leute, sich laut zu beschweren; manche pfiffen vor Entrüstung über diese Demonstration Ndaayas, während anderevor Ärger auf den Boden trampelten und dabei schrien: »Wie ist dieser elende Dieb hier in unsere Gesellschaft geraten und erzählt dazu noch erbärmliche Geschichten?«
Da sprang der Zeremonienmeister auf das Podium und bat um Ruhe. Er wandte sich an die versammelten Gäste und erklärte, daß dies ein Wettbewerb für Diebe und Räuber sei, und zwar für die echten Diebe und Räuber, das heißt für jene, die INTERNATIONALEN MASSTÄBEN gerecht würden. Geschichten von Leuten, die in Dorfhütten Vorhängeschlösser knackten oder armen Marktfrauen Geldbeutel klauten, seien eine peinliche und beschämende Angelegenheit für die wahren Experten im Rauben und Stehlen; und dies träfe um so mehr zu, wenn derlei Geschichten vor einer Versammlung internationaler Diebe und Räuber erzählt würden. Die ausländischen Gäste seien ja schließlich nicht von weither angereist gekommen, um ein Volk zu besuchen, dessen Leute nur stahlen und raubten, weil sie nichts zu essen, nichts anzuziehen und keine Arbeit hatten. Kleine, unbedeutende Diebe und Räuber wie diese seien Kriminelle. »Hier in dieser Höhle wollen wir nur Leute sehen, die stehlen, weil ihre Bäuche voll sind«, sagte der Zeremonienmeister und legte dabei seine Hand auf den Bauch.
Und nun verlor Ndaaya wa Kahuria alle Angst und alle Verlegenheit und mit aufgebrachten Worten fiel er über den Zeremonienmeister her: »Ein Dieb ist ein Dieb, es darf keine Diebe mit Sonderrechten geben. Ein Dieb ist ein Dieb, warum er stiehlt, ist egal. Wir wollen alle zum Kampf zugelassen werden und uns im freien Wettbewerb messen. Ein Räuber ist und bleibt ein Räuber …«
Aus jeder Ecke, aus der ganzen versammelten Gemeinde der Räuber und Diebe erhoben sich mißbilligende Stimmen, manch einer schrie seinen Ärger hinaus:… Er soll mit seinem schmutzigen Anzug vom Podium verschwinden, das ist nur für wichtige Leute da … Ndaaya wa Kahuria, schaff uns deinen Knütter-Zittergrasanzug aus den Augen und laß ihn draußen im Winde zittern … Werft ihn raus … Er soll mit seinem besonderen Talent zum Hühnerstehlen nach Njeruca gehen … Zeremonienmeister, das ist Ihre Aufgabe — wenn Sie nicht in der Lage sind, dann sagen Sie es, wir werden schon einen Ersatz für Sie finden, der mit der Situation fertig wird …
Der Zeremonienmeister gab den Wachen an der Tür ein Zeichen, worauf diese mit fliegenden Knüppeln nach vorn eilten und Ndaaya wa Kahuria trotz seines lauten Protestes gegen eine derartige Diskriminierung hinauswarfen. Ndaaya wa Kahuria war somit vom Fest ausgeschlossen. Die anderen Räuber und Diebe lachten und pfiffen vor Freude. Der Zeremonienmeister hob die Hand und bat um Ruhe, dann sagte er folgendes:
»Dies ist ein Wettbewerb für internationale Diebe und Räuber , das heißt für Diebe und Räuber von gestern, die heute internationales Format erlangt haben. Deshalb wünschen wir weder erbärmliche Gauner noch elende Anfänger hier, die nur unsere Zeit vergeuden. Time is money, and every time is robbing time !
Aus diesem Grunde müssen wir uns auf Regeln einigen, die von nun an diesen Wettbewerb bestimmen werden. Der Anlaß, aus dem wir uns heute hier versammeln, ist nicht ganz so einfach, wie einige von Ihnen es sich vorgestellt haben. Und ich wiederhole noch einmal — Spaß beiseite, dies hier ist bitterer Ernst. Es gilt deshalb folgendes: Stiehlt jemand nur in der Größenordnung von Hundertern oder Tausendern, so braucht er erst gar nicht auf das Podium zu kommen, nur um unsere Ohren zu ermüden.«
Diese Ankündigung wurde mit großem Beifall begrüßt.
»Dies ist die erste Regel. In Ihrem so spontanen und aufrichtigen Beifall sehe ich ein Zeichen der
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