Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
Vom Netzwerk:
Richtung sich die Welt bewegte und woher der Wind blies. Dann begann ich ein paar kleine Geschäfte zu machen und betrieb einen Laden und ein kleines Hotel. Aber ich verdiente überhaupt nichts dabei! In jenen Tagen hatte ich die heiligen Gebote einer Gesellschaft, in der man sich gegenseitig auffrißt, noch nicht verstanden.
    Damals erinnerte ich mich der Worte meines Vaters auf seinem Sterbebett. Er war an Überfettung gestorben. Er hatte mich zu sich in sein Haus rufen lassen und mir folgendes gesagt: ›Es ist klug von dir, daß du einige Läden und Hotels aufgemacht hast. In einem unserer Sprichworte heißt es, daß ein Hirte nicht immer am selben Ort bleiben darf. Auf einer Reise trägt jeder sein eigenes Essen, nicht das der andern. Für einen Mann mit Familie ist ein Gehalt nichts, woran er sich halten kann. Außerdem, wir schwarzen Menschen können uns nicht mit kleinlichen Geschäften abgeben, die Geduld erfordern. Nur Inder haben diese Art von Geduld. Mein Sohn, höre auf die Worte der Liebe, die dein Vater zu dir spricht. Ich weiß, daß du vieles aus Büchern gelernt hast. Aber der wahrhaft Weise ist der, welcher von dem lernt, der alles schon einmal gesehen, und daraus seine Erfahrungen gezogen hat. Die einzig mögliche Karriere für einen, der sich für einen Erwachsenen hält, ist eine Karriere im Rauben und Stehlen. Lerne von den Weißen, und du wirst nie in die Irre gehen. Der weiße Mann glaubt daran, daß Raub und Diebstahl allem anderen weit überlegen sind. Ich will offen mit dir reden. Der weiße Mann kam in dieses Land und hielt die Bibel in der linken Hand und ein Gewehr in seiner Rechten. Er stahl den Menschen ihr fruchtbares Land. Er stahl den Menschen ihr Vieh und ihre Ziegen unter dem Vorwand von Strafen und Steuern. Er beraubte die Menschen ihrer Hände Arbeit.
    Oder wie sonst wären Grogan und Delamere reich geworden? Eher noch würde ich mit meiner eigenen Mutter schlafen, als zu glauben, daß ihr eigener Schweiß sie so reich gemacht hat. Wer von uns — obwohl die Fahne jetzt uns gehört — kann heute den weißen Mann an Reichtum überbieten? Ich besitze nichts, was ich dir vererben kann. Aber eine Schulbildung hast du erhalten. Und jetzt habe ich dir Worte der Weisheit mitgegeben. Hier sind noch Briefe von einigen Weißen, mit denen ich zusammengearbeitet und die mit den Diensten, die ich ihnen erwiesen habe, sehr zufrieden waren. Ich bin ihr Freund. Sie sind meine Freunde. Solltest du jemals in Schwierigkeiten geraten, dann suche einen von ihnen auf und nimm einen Brief mit seiner Unterschrift mit. Sag ihm, daß du der Sohn Gataangurus bist und daß er dir helfen soll.‹
    Als mir diese Worte wieder einfielen, hielt ich inne und stellte mir die Frage, ob wohl jemals einer durch seinen eigenen Schweiß reich geworden sei? Wer ist jemals allein von dem, was er verdient hat, reich geworden? Mein Vater hatte seinen Besitz keineswegs durch sein monatliches Gehalt erworben. Nein, er war schlau und gerissen gewesen, das war es! Nicht Gehälter hatten Grogan und Delamere ihren Reichtum verschafft, nur Gerissenheit! Gerissenheit, sei von nun an mein Schutzengel! Noch keiner ist von diesen elenden Dorfläden reich geworden, die zwei Streichholzschachteln, zwei Päckchen Zigaretten, Teebeutel zu 25 Cent, einen Sack Zucker, einen Sack Salz und einen Kanister Öl auf Lager haben. Noch keiner hat das geschafft! Gerissenheit, sei mein Schutzengel — nimm mich bei meiner rechten Hand und führe mich immerdar, bei Tag und bei Nacht!
    Die Tatsache, daß sich nach der Unabhängigkeit einige Schwarze anschickten, das Land, um das die Mau Mau gekämpft hatten, aufzukaufen, rief in mir die Worte meines Vaters wach. Es überraschte allerdings — und das ließ manches Herz höher schlagen, das noch vor kurzem bei dem Gedanken an die Unabhängigkeit traurig war —, daß es gleichgültig zu sein schien, auf welcher Seite man im Befreiungskampf gestanden hatte. Es war egal, ob man Mr. Heiß, Mr. Kalt oder Mr. Lauwarm hieß. Ob man früher heiß, kalt oder lauwarm gewesen war, schien nun, wo es darum ging, sich Land anzueignen, bedeutungslos geworden zu sein. Wichtig war jetzt nur noch der Glanz des Geldes. Und dieses Geld war nicht durch der Hände Arbeit zu haben, sondern alleindurch schlaues und gerissenes Vorgehen. Gerissenheit war noch schlauer als harte Arbeit.
    Ich hörte auf zu arbeiten, fiel auf die Knie und betete inbrünstig:

    Gerissenheit, leite mich auf meinen Wegen
    Und führe mich

Weitere Kostenlose Bücher