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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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macht alle Angst zunichte.
    An einem Samstag abend in einem Hotel in Naivasha erzählte Wariinga ihm alles. Der Reiche Alte Mann fuhr hoch, als hätte ihn ein Skorpion in den Hintern gestochen - aber er gewann schnell seine Fassung wieder. Weder jammerte er an jenem Abend, noch machte er ihr irgendwelche Vorwürfe. Wariinga war der Meinung, alles sei gut. In der Nacht träumte sie davon, wie sie sich nun von den Ketten der Schulen und Lehrer und Examen befreien würde, um sich für alle Zeiten von den Wogen des Vergnügens in teuren Hotels dahintragen zu lassen. Sie würde in allen Freuden-Seen im neuen Kenia schwimmen; sie träumte davon, das Leben ohne eine einzige Unterbrechung zu genießen und ohne einen einzigen Gedanken an die morgige Schule verschwenden zu müssen.
    Erst am nächsten Morgen erteilte ihr der Reiche Alte Mann eine Lektion, die Wariinga nie vergessen würde. Er fragte sie, warum sie nicht aufgepaßt habe, wie andere Mädchen auch; was sie eigentlich daran gehindert habe, die Pille zu nehmen, sich eine Spirale einsetzen oder sich spritzen zu lassen? Und warum sie ihm nicht gleich in dem Monat, als sie entdeckt hatte, daß sie schwanger war, Bescheid gesagt habe? Doch wohl nur, weil Wariinga nicht mit Sicherheit sagen könne, wer der eigentliche Verantwortliche sei!
    »Es ist doch gar nicht möglich, daß du bei mir so schnell schwanger geworden bist! Geh mir aus den Augen und suche den jungen Mann, der dich geschwängert hat, und sag ihm, er soll dich heiraten oder dich zum Abtreiben in den Wald oder sonstwohin bringen! Die ganze Zeit hatte ich gedacht, daß ich mich mit einem sauberen Schulmädchen abgegeben habe, mit einem Mädchen ohne viele Probleme, mit einem Mädchen, das ich gern geheiratet hätte, damit sie mir ein warmes Bad für meine alten Knochen bereitete. Aber Kareendi-die-Bereitwillige ist mir wohl in die Finger geraten!«
    Wariinga wußte nicht, sollte sie weinen, sollte sie aufschreien oder sich wehren — sie schwieg einfach, als wäre sie stumm, oder als habe ihr der berühmte Kamiri, der Zauberdoktor, mit starkerMedizin ewiges Schweigen angezaubert. Mit einem Schlag zeigte ihr die Welt ihr feindliches Gesicht. Das strahlende Licht, das sie zu sehen geglaubt hatte, war verschwunden. Sie sah, wie die Straße, die bisher breit und sehr schön war, plötzlich eng und voller Dornen wurde. Die Straße, von der sie dachte, sie würde zum Himmel auf Erden führen, führte sie nun in die Hölle auf Erden. Das Meer der Freuden war also die ganze Zeit ein Feuermeer gewesen? Der Blumenteppich, auf den sie ihren Fuß gesetzt hatte, war also ein Teppich voll Dornen gewesen? Die Flügel waren also keine Flügel, sondern Ketten aus Stahl gewesen?
    Wariinga wußte nicht mehr, wie sie nach Nakuru zurückkamen. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wie sie aus dem Mercedes gestiegen war, der zum Grab ihrer Jugend, ihrer aufrichtigen Seele und ihrer Unberührtheit geworden war. Sie schien auch nicht zu sehen, wie der Reiche Alte Mann Gas gab, wendete und das vierrädrige Grab zu seinen Gütern in Ngorika zurückfuhr.
    Wariinga sah zu, wie ihr Grab verschwand, aber ihre Augen schauten ins Leere. Sie stand da, vollkommen verlassen; der Weg, den sie nun gehen mußte, war voller Dornen, die ihr die Füße zerstachen, und er führte sie in die selbstgewählte Hölle.
    Aber hatte sie wirklich diese Hölle gewählt, oder war die Hölle ihr aufgezwungen worden, fragte sich Wariinga, als sie dort stand und ihre Augen über den Bahnhof von Nakuru wandern ließ, über die Straße nach Eldoret, Amigos Bar, Kenyatta Avenue und über die Läden — sie wußte nicht, wohin sie sich nun wenden sollte. Langsam ging sie durch den Busbahnhof, durchquerte die städtische Markthalle, betrat das Njoro Hotel, setzte sich allein an einen kleinen Tisch in der hintersten Ecke und bestellte Tee. Sie versuchte sich zusammenzureißen. Mein Gott, wohin soll ich jetzt gehen, war ihre unablässige Frage.
    Sie wußte, daß sie sich weder an ihre Tante noch an ihren Onkel, weder an ihre Kusinen noch an ihre Lehrer, noch an ihre Schulkameradinnen um Hilfe wenden konnte.
    Wariinga hatte keine Verwandte oder Freundin, die plötzlich erscheinen und sagen würde: »Wariinga, ich bin gekommen, um dir zu helfen!«
    Sie trank den Tee nicht. Sie bezahlte, ließ ihn auf dem Tisch stehen und ging hinaus. Als sie im Bezirk 58 und dann zuhause war, ging sie sofortschlafen. Sie versuchte, ihren Rosenkranz zu beten, aber es ging nicht. Sie

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