Der gekreuzigte Teufel
rechten Hand Wariinga zwischen den Bäumen nachzujagen. Weil Wariinga leicht und jung war, konnte sie viel schneller rennen als der Reiche Alte Mann; sie versteckte sich dann hinter einem Busch, bis er erschöpft war und in frustriertem Arger nach ihr rief. Bemerkte sie, daß er verärgert war, dann tat sie so, als sei sie völlig erschöpft, der Reiche Alte Mann holte sie ein, fing sie, feuerte in die Luft und strahlte vor Glück. Dann nahm Wariinga die Pistole und jagte ihm unter den Bäumen nach. Eines überraschte Wariinga immer wieder — so müde sie auch sein mochte, hatte sie einmal die Pistole in der Hand, fühlte sie, wie ihr neue Kräfte zuflossen, und dann stürmte sie vorwärts, hatte ihn im Nu eingefangen und gab den Siegesschuß ab. Einmal war ihr das ganze Spiel zu dumm geworden, sie schoß, ehe sie ihn gefangen hatte. Sie wußte hinterher nicht, wie es eigentlich passiert war, möglicherweise hatte ein Zweig ihre Hand berührt, als sie sie zum Schuß hob — auf alle Fälle verfehlte das Geschoß um kaum zwei Zentimeter den Kopf des Mannes und traf eine trächtige Antilope, die sofort tot war.
Der Reiche Alte Mann brach in Schweiß aus und zitterte am ganzen Körper. Wariinga weinte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie getötet. Sie sagte dem Reichen Alten Mann, daß sie dieses Spiel vom Jäger und dem Gejagten nie wieder spielen sollten. Er lachte nur und tat mutiger, als er in Wirklichkeit war, und sagte, daß dieses Spiel niemals enden würde. Aber da er nun gesehen habe, daß man ihr keine Pistole anvertrauen könne, dürfe sie ihn in Zukunft nie mehr jagen, nur noch er würde jagen, und zwar immer.
»Aber angenommen, du triffst daneben?« fragte Wariinga.
»Nein, ich bin nicht wie du. Dich würde ich treffen«, sagte der Reiche Alte Mann.
Sie lachten. Der Reiche Alte Mann schien wie verhext. Er war verrückt nach dem Spiel.
Der Reiche Alte Mann sorgte immer dafür, daß sie ein Zimmer in einem der Hotels am Seeufer hatten. Abends, nachdem sie gut gegessen und getrunken hatten, zogen sie sich in ihr Zimmer zurück und verbrachten dort eine Nacht voll irdischer Freuden. Am nächsten Tag fuhr er Wariinga nach Ilmorog, setzte sie an der Bushaltestelle ab, sie rannte nach Hause, begrüßte in aller Eile ihre Eltern und lief dann schnellstens dahin zurück, wo ihr geliebter Reicher Alter Mann auf sie wartete; und weiter flogen sie in ein anderes Hotel, um dort dem Leben noch mehr Freuden abzugewinnen.
Das Sprichwort sagt, daß auch der süßeste Mund einen Giftzahn hat und sein Opfer verschlingen kann. Eines Morgens auf ihrem Weg zur Schule, kurz bevor sie zum Haus der afrikanischen Nonnen kam, wurde Wariinga schwindlig, sie setzte sich irgendwo hin und erbrach sich. Als ihr wieder besser war, ging sie weiter und dachte, sie hätte sich den Magen verdorben. Aber Tag für Tag litt sie zunehmend unter Übelkeit und Schwindel, und manchmal mußte sie sich erbrechen. Ein Monat war vergangen, und ihre Tage blieben aus. Das passiert manchmal, tröstete sie sich. Ein weiterer Monat verging, und sie blieben ein zweites Mal aus.
Panischer Schrecken ergriff Wariinga. Sie wußte von vielen Mädchen, die schwanger geworden waren, aber sie hatte nie im Traum daran gedacht, daß ihr Ähnliches widerfahren könnte. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Nun war geschehen, was sie nie für möglich gehalten hätte.
Was geschehen ist, kann man nicht ungeschehen machen, tröstete sich Wariinga. Auf alle Fälle stand sie auf festem und sicherem Boden. Ihr Reicher Alter Mann hatte ihr immer versichert, daß er sie, wie es die Sitte verlangte, heiraten würde, daß er sich sogar von seiner ersten Frau scheiden lassen und mit einer richtigen Trauung in der Kirche eine junge Frau heiraten könnte. Deshalb war sie sicher, daß ihn die Nachricht von ihrem Zustand nicht überraschen würde. Außerdem war es ja Mode geworden, vor der Heirat schwanger zu sein. Wie viele Mädchen gab es — Wariinga wußte dies —, die im achten oder sogar neunten Monat vor den Traualtar traten, um den Ehering zu erhalten. Es gab sogar welche, die heirateten heute, nur um morgen ein Kind zu gebären. Wariinga hatte von einem Fall gehört, wo ein Mädchen in der Kirche ein Kind geboren hatte. Eine andere hatte aufdem Weg zur Kirche entbunden — der unwissende Bräutigam und der Priester warteten umsonst an der Kirchentür! Oh ja, Wariinga hatte nichts für sich zu befürchten, weil sie nun schwanger war — der Glaube an einen geliebten Menschen
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