Der gekreuzigte Teufel
verschlingen.
Es begann damit, daß der Onkel Wariinga bat, nach der Schule in seinem Büro vorbeizukommen, um einige Dinge mit nach Hause zu nehmen. Aber jedesmal, wenn Wariinga ins Büro kam, und noch bevor sie mit dem Onkel zwei Worte gewechselt hatte, tauchte plötzlich der Reiche Alte Mann aus Ngorika auf. Hinterher fuhr der Reiche Alte Mann beide in seinem Wagen bis zum Bezirk 58, oder er nahm Wariinga alleine mit und ließ sie am städtischen Schlachthaus aussteigen.
Eines Tages nun hatte eine Schulfreundin Wariinga zu einer Party nach Bahati eingeladen. Sie traf dort ihren Onkel; auch der Reiche Alte Mann aus Ngorika war da. An jenem Abend wurde Wariinga von dem Reichen Alten Mann aus Ngorika in einem Mercedes nach Hause gebracht.
Im Laufe der Zeit wurden Wariinga und der Reiche Alte Mann miteinander vertraut. Er war unermüdlich hinter ihr her. Kam sie abends aus der Schule, so stand stets ein Mercedes in der Oginga Odinga Avenue, in der Nähe der Kirche zum Heiligen Rosenkranz. Der Reiche Alte Mann bot ihr an, sie nach Hause zu fahren, aber ehe er sie am Krankenhaus in der Nähe des Schlachthofes absetzte, machte er mit ihr eine Spazierfahrt durch die Straßen von Nakuru oder hinauf zum Menengai-Krater, zum Lake Nakuru oder zur Rennstrecke.
Dann gab er ihr auch Taschengeld, Geld fürs Kino oder für die Rennen und für die Landwirtschaftsausstellung in Nakuru. Und weil Wariinga auf das erste Lächeln nicht abweisend reagiert hatte, wurde sie zusehends nachgiebiger und konnte zu nichts mehr nein sagen. Zweimal trafen sie sich im Eros-Kino , ein anderes Mal im Odeon.
Wariingas Leben wurde nun ganz anders. Ihr war, als hätte sich eine Tür geöffnet, durch die sie eine Stadt sehen konnte, von deren Existenz sie nichts gewußt hatte. Plötzlich wurde die Welt hell, sie sah glänzende Lichter, die eine breite und sehr schöne Straße vor ihr beleuchteten. Sie hörte wundersame Stimmen im Liebesgeflüster, sanft und voll süßen Dufts: »Wariinga, meine Freundin, warum bist du so töricht und klammerst dich an deine Bücher, wenn überall in Kenia süße Köstlichkeiten und reife, saftige Früchte auf dich warten; wenn Wunderbares für dich bereitsteht, das dein Herz höher schlagen läßt und dein Blut erwärmen wird?«
Wariinga wuchsen Flügel. Sie probierte sie aus und flog mit ihrem Reichen Alten Mann davon. Es gefiel ihr. Sie flog wieder und wieder, und mit jedem Flug vervielfachten sich die Wunder eines Mercedes-Benz. In ruhigem Ton bestärkte sie der Reiche Alte Mann — sie brauche sich keine Sorgen zu machen; wegen ihres Busens und ihrer verführerischen Schenkel sei er bereit, sich von seiner ersten Frau scheiden zu lassen. Nun breitete Wariinga ihre Flügel weit und war stets zum Fliegen bereit.
Sie begann die Schule zu verabscheuen und war davon überzeugt, daß die Schule sie mit eisernen Ketten an die Erde band, wo Wariinga doch fliegen und frei auf den Wolken in den Himmel des ewigen Glücks schweben wollte. Ihre früheren Träume vom Lernen und Studieren an der Universität, von einer Ausbildung als Ingenieur, hatten sich in Luft aufgelöst wie Morgentau in der Sonne. Im Klassenzimmer zählte sie jetzt die Sekunden, Minuten, Stunden, Tage; ungeduldig erwartete sie den Samstag, an dem sie davonfliegen konnte, hinaus in die Freiheit des wirklichen Lebens. Sie wurde eine perfekte Lügnerin. Oftmals sagte sie ihrer Tante, sie ginge nach Ilmorog, um ihre Eltern zu besuchen.
Ihr Reicher Alter Mann holte sie dann am Busbahnhof von Nakuru ab, und die Teerstraße brachte sie in Windeseile nach Naivasha. In Naivasha angekommen, nahmen sie ein Motorboot und machten eine Rundfahrt auf dem See, oder einen Spaziergang am Seeufer entlang und schauten den Fischern bei ihrer Arbeit zu — währenddessen erklärte ihr der Reiche Alte Mann, wie man die kleinen Fische benutzt, um die größeren zu fangen, oder wie die großen Fische von den kleinen leben. »Ja, sie verschlingen sie einfach«, fügte er lachend hinzu.
Manchmal fuhren sie auch nach Hot Springs, angeblich um dort zu jagen, und doch heimlich, weil er keinen Jagdschein besaß. Aber anstatt Tiere zu jagen, spielten sie ein Spiel, das »der Jäger und der Gejagte« hieß. Der Jäger nahm eine Pistole und jagte den Gejagten so lange, bis dieser müde und erschöpft war, alsdann fing der Jäger den Gejagten und schoß mit der Pistole in die Luft, um seinen Sieg zu verkünden.
Üblicherweise begann der Reiche Alte Mann damit, mit der Pistole in der
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