Der gekreuzigte Teufel
fertig, über ihr Geheimnis zu sprechen. Vielmehr tat sie so, als interessiere sie sich für die Schwesternschule und als beabsichtigte sie später einmal, sich amKrankenhaus als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Nachdem sie genug geredet hatten, begleitete das Mädchen sie bis zum State House an der großen Straße Nakuru — Nairobi.
Als Wariinga nun sah, wie das Mädchen zum Krankenhaus zurückkehrte, fühlte sie plötzlich, wie ihr die Knie weich wurden und alle Kraft sie verließ; sie wollte dem Mädchen nachrufen und sie bitten, sie nicht allein zu lassen.
Wie betrunken oder als habe sie Hasch geraucht, lief sie auf der Straße in Richtung Nairobi. Sie war nicht bei Sinnen. Weder sah noch hörte sie die Autos, die nach Nairobi oder nach Nakuru hinein fuhren — sie hatte nicht einmal bemerkt, daß die Dunkelheit hereingebrochen und die Straßenbeleuchtung angegangen war. Sie ging und ging, ohne zu wissen wohin. Einmal wäre sie fast mit dem Kopf gegen einen Baum geprallt.
Dieser Beinahe-Zusammenstoß hatte sie aufgeweckt, und sie sah, daß sie an der Abzweigung nach Bahati war. Dorthin beschloß sie nun zu gehen. Sie lief an der Hecke entlang, die das Gelände der Nakuru High School umgab. Sie wollte die Straße zum Menengai-Krater hinaufgehen, um sich oben in das abgrundtiefe Loch zu stürzen, wie der Inder, der mit dem Wagen hineingestürzt und gestorben war.
Als Kind hatte Wariinga gehört, daß oft viele Geister den Krater aufsuchten, daß sie früh am Morgen Busch und Wald mit Rasierklingen abrasierten und daß sie einmal im Jahr alles Gras und alle Bäume in der Umgebung des Kraters abbrannten. Nachdem sich der Inder damals in den Krater gestürzt hatte, hielt sich die Legende, daß er von den Geistern in den Krater hinabgezogen worden sei, nachdem er sie dabei erwischt habe, wie sie die Bäume abrasierten und sich beim Spiel im Gras und in den Wipfeln der Bäume vergnügten.
Nichts wünschte Wariinga sich jetzt mehr, als daß irgend jemand oder irgendein Geist sie holen und von Nakuru und der Erde verschwinden lassen würde.
Da fiel ihr plötzlich ein, daß es auf dem Gelände der Nakuru High School ein Schwimmbecken gab. Anstatt alleine mitten in der Nacht den weiten Weg zum Krater hinaufzugehen, beschloß sie, ihrem ganzen Elend in dem Schwimmbecken ein Ende zu setzen. Sie betrat das Schulgelände und folgte dem Weg, der um die Gebäude herumführte. Als sie einen Blick durch die Fenster warf, sah sie Schüler, die im Schein der elektrischen Beleuchtungüber ihren Büchern saßen; als sie sich dabei ihres gegenwärtigen Zustandes bewußt wurde, durchfuhr sie brennender Schmerz, sie ging schneller, betend und hoffend, daß sie weder Schülern noch Lehrern begegnen würde.
Während der Kolonialzeit war die Nakuru High School europäischen Kindern vorbehalten gewesen. Nach der Unabhängigkeit jedoch war daraus eine sehr teure staatliche Schule geworden. Es war eine Schule mit Internat für Jungen und Mädchen. Abends mußten alle Schüler klassenweise ihre Hausaufgaben machen. Diese Schüler, die Köpfe über die Bücher gebeugt, hatte Wariinga durch die Fenster gesehen. Sie verließ nun den Weg, der zu den Schlafsälen der Jungen führte, und bog in den Weg zum Schwimmbecken ein. Wariinga sah niemand und traf auch niemand, der sich jetzt noch draußen aufhielt. Sie dachte, Gott habe ihr Gebet erhört.
Als sie an den letzten Klassenzimmern vorbeigegangen war, zweigte der Weg zum Schwimmbecken ab. Es war ein bißchen dunkel, denn die Lichter vom nächsten Klassenzimmer waren zu weit entfernt. Wariinga wollte gerade das Schwimmbadgelände betreten, als sie plötzlich aus dem Nichts die Stimme eines Mannes hörte: »Was tust du hier? Warum bist du nicht in deinem Klassenzimmer?«
Wariinga erschrak und schaute sich schnell um — sie dachte, die Geister vom Menengai-Krater seien herabgekommen, um sie zu holen. Es gab sie also doch, die Geister! Dann entdeckte sie hinter einer niederen Hecke den Nachtwächter, der sie offensichtlich für eine Schülerin hielt. Wariinga dachte sich schnell eine Lüge aus.
»Ich bin auf Besuch hier. Lehrer Kamau ist mein Bruder. Ich bin nur diese Woche bei ihm. Ich mache gerade einen Abendspaziergang, um mir die Zeit zu vertreiben.«
»Ach so ist das!« sagte der Nachtwächter und ging in Richtung Schwimmbecken davon.
Wariinga hatte den Verdacht, daß der Nachtwächter ihre Geschichte nicht ganz geglaubt hatte. Sie blieb ein paar Augenblicke stehen, dann ging sie
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