Der gekreuzigte Teufel
versuchte zu weinen, aber ihre Augen blieben trocken.
In jenen Tagen des Leidens und des Kummers fand Wariinga keine Verwandte oder Freundin, die sie getröstet hätte: »Laß dein Herz zur Ruhe kommen, mein Kind, ich will dir in deinem Kummer beistehen und dir helfen, einen Ausweg zu finden.« Im Gegenteil schien ihr Schmerz um so heftiger zu werden, je mehr sie sich zuhause bemühte, ja nicht zu zeigen, daß sie Sorgen oder Selbstmitleid hatte. Nur nachts, wenn sie allein war und im Bett lag, konnte sie einen Augenblick lang ihren Tränen freien Lauf lassen, und sie fragte sich dann zum so und so vielten Male: Was kann ich nur tun, um diese Schwangerschaft los zu werden? Wariinga hatte niemand, der ihre vielen Fragen beantwortet hätte.
Nur in der Schule versuchte Wariinga, sich bei den anderen Mädchen Rat zu holen. Aber sie tat dies nicht direkt; mit bewußter Gleichgültigkeit brachte sie das Gespräch auf das Thema, als habe dies alles überhaupt nichts mit der Last zu tun, die sie selbst mit sich herumtrug. Aber die Berichte, die sie hörte — wie der Fall jenes Mädchens, das verrückt wurde, nachdem sie eine Mixtur aus Tee, Chinin, Aspirin und vielen anderen Arzneimitteln getrunken hatte —, machten ihr Angst, und die Last wurde schwerer denn je.
Ihre Last wäre leichter gewesen, hätte sie eine Freundin oder eine Verwandte gehabt, aber sie hatte niemand.
So war Wariinga allein auf sich gestellt, zog dies und jenes in Betracht, erwog das eine und andere, verglich zahllose Alternativen und überlegte, wie sie von dieser Erde verschwinden könnte, um nie wieder in der Schule oder in Nakuru oder in Kenia gesehen zu werden.
Eines Tages beschloß sie, Dr. Patel aufzusuchen, der wegen seiner vielen illegalen Abtreibungen in ganz Nakuru berüchtigt war.
Es war an einem Samstag morgen. Sie nahm das Wenige, das ihr noch von dem geblieben war, was ihr der Reiche Alte Mann gegeben hatte, und log ihrer Tante vor, sie würde in die Stadt gehen, um von einem Lehrer einige Bücher auszuleihen.
Alleine, nur mit ihrem Geheimnis als Begleiter, machte sie sich auf den Weg. Sie ging an den Grashütten vorbei und kam zur Ladhies Road, aber anstatt sie zu überqueren, hinüber zur Ngala Avenue und weiter zur Nakuru Day Secondary , ging sie nun inRichtung Stadtzentrum. Anstelle der Träume, die früher auf dem Weg zur Schule ihre Seele erfüllt hatten, fühlte sie jetzt nur noch Wogen der Bitterkeit: so schnell also konnten die Träume eines Mädchens in ihrer jungfräulichen Jugend aufblühen, um dann ebenso schnell zu welken und zu Boden zu sinken, wie Blumen in der Trockenzeit!
Sie ging auf der Kenyatta Avenue in Richtung Postamt und Stag's Head Hotel. Bei der Kenya Commercial Bank blieb Wariinga stehen und schaute sich nach allen Seiten um. Dann bog sie ganz schnell nach links ab, und ohne sich umzusehen lief sie weiter und beachtete weder Menschen noch Gebäude, an denen sie vorüberging. Aber als sie zum Mount Kenya Bookshop kam, trat sie ein, tat so, als schaute sie sich einige Bücher an, und ging dann wieder hinaus. Draußen vor der Buchhandlung blieb Wariinga stehen und versuchte sich zu vergewissern, daß niemand, der sie kannte, sie beim Betreten von Dr. Patels Praxis sehen würde. Es war Wariinga, als wüßte ganz Nakuru von ihrem Vorhaben. Ihr Herz klopfte laut, so laut wie das Rufen einer Eule.
Entschlossen ging sie auf das Haus des Arztes zu. Aber gerade als sie den Fuß in den Eingang zu Dr. Patels Praxis setzen wollte, schaute sie die Straße entlang und sah, wie eine Frau, eine Nachbarin aus dem Bezirk 58, eine in der Nähe gelegene Nähschule verließ. Wariinga brannte vor Scham, als habe man sie beim Stehlen erwischt. Sie floh.
An einem anderen Samstag, so gegen vier Uhr nachmittags, hatte Wariinga vor, sich bei einem Mädchen Hilfe zu holen, die in der Baharini Grundschule und in der Nakuru Day in derselben Klasse mit ihr gewesen war. Das Mädchen war nach der zweiten Klasse in Nakuru Day von der Schule gegangen und hatte im Nakuru General Hospital ihre Ausbildung als Krankenschwester begonnen.
Wariinga betrat das Krankenhaus durch den Anbau und hatte Glück, denn das Mädchen war alleine in ihrem Zimmer. Sie unterhielten sich über viele Dinge, hauptsächlich über Schulen, Lehrer, Schüler und Examen, während Wariinga die ganze Zeit eine Möglichkeit suchte, ihr Problem anzuschneiden. Aber jedesmal, wenn sie es ansprechen wollte, war ihre Kehle wie zugeschnürt, und sie brachte es nicht
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