Der Gelbe Nebel
groß und stark wie ein Fünfzehnjähriger? Aus mir wird noch ein prima Schiffsjunge, drauf könnt Ihr
Euch verlassen!“
Der paffende Kapitän erwiderte scherzend:
„Wird es dir nicht leid tun, deine Freundin zu verlassen, Tim? Sie wird sich
doch nach dir sehnen!“
Tim runzelte die Stirn und wiederholte, was er von Erwachsenen gehört
hatte: „Männer sollen in die Welt ziehen, um ihr Glück zu suchen, Frauen
aber sollen zu Hause bleiben und den Herd hüten.“
Der Kapitän schüttelte sich vor Lachen.
„Bei allen Eisbergen, das ist gut gesagt! Hör mal, Junge, in drei vier Jahren
komme ich wieder, und dann bist du schon groß, und ich nehme dich als
Matrose mit.”
Damit konnte sich Tim natürlich nicht abfinden. Er wollte schon etwas
entgegnen, doch in demselben Augenblick gewahrte das scharfe Auge des
Seemanns am abendlichen Himmel einen dunklen Punkt, der schnell größer
wurde, näher kam und schließlich seltsame Umrisse annahm. Am rötlichen
Horizont erschienen ein hässlicher Kopf mit einem langen Hals, der einen
Kamm trug, zwei riesige schwingende Flügel und ein Rücken, auf dem ein
kleiner Käfig stand. „Ein Drache! Die Erde soll mich verschlingen, wenn
das nicht ein Drache ist!“ rief Charlie aus. „Genauso einen haben ich und
Elli in der Höhle gesehen, in die uns der unterirdische Gang geführt hatte!“
„Das kann nur Oicho sein“, rief Ann entzückt.
„Ja, das ist Oicho!“ sagte Tim. „Nur er kennt den Weg nach Kansas!“
Der Drache, dessen gelblicher Bauch in den Strahlen der untergehenden
Sonne glänzte, zog große Kreise über dem Seemann und den Kindern, die
aufgesprungen waren. Jetzt konnte man auch einen Kopf mit einem spitzen
Hut und ein Gesicht erkennen, aus dem zwei Augen die Leute auf der Erde
aufmerksam betrachteten.
„Faramant! Ann, das ist doch Faramant!“ rief Tim freudig und fuchtelte mit
den Armen, womit er dem Drachen zu verstehen gab, er möge herabsteigen.
Das Ungeheuer ging rauschend nieder. Aus dem Käfig wurde die Tür
aufgestoßen und eine Strickleiter herabgelassen, die ein kleiner Mann mit
grünem Rock und grüner Brille hinabzusteigen begann. Er hatte den Fuß
noch nicht auf die dritte Stufe gesetzt, als ein schwarzer Vogel aus dem
Käfig flatterte und direkt auf Ann zuflog.
„Kaggi-Karr!“ schrie Ann überrascht.
Sie drückte die Krähe an ihre Brust und streichelte ihr struppiges schwarzes
Gefieder. „Kaggi-Karr, liebe, teure Kaggi-Karr, welche Freude, Euch zu
sehen!“
Die Krähe erwiderte den Gruß mit einem Krächzen, das sich fast wie ein
Gurren anhörte. Inzwischen hatte der kleine Mann mit der grünen Brille die
Erde erreicht. Freundlich begrüßte er Charlie Black und die Kinder.
„Es freut mich, Euch zu sehen, Herr Riese von jenseits der Berge, und auch
euch, Ann und Tim, freut es mich, zu sehen“, sagte er. „Ich bin mit dem
Drachen Oicho in einem sehr wichtigen Auftrag hergekommen…“
Bei der Erwähnung seines Namens wandte der Drache den häßlichen
Kopf mit den großen klugen Augen Ann zu, die auf ihn zuging und
seinen schuppigen Hals streichelte. Oicho erwiderte die Liebkosung
mit freudigem Schwanzklopfen. Faramant schilderte kurz, was sich in
den letzten Monaten im Zauberland ereignet hatte: Das Erwachen der
bösen Hexe Arachna aus ihrem fünftausendjährigen Schlaf, ihre
Absicht, die Einwohner des Landes zu Sklaven zu machen, die stolze
Ablehnung der freiheitliebenden Völker und schließlich die
verheerenden Folgen des Gelben Nebels, den die Hexe ausgelöst hatte.
„Jetzt sind Ann und Tim unsere einzige Hoffnung!“ schloß der Hüter
des Tores seinen traurigen Bericht. „Sie haben uns im Kampf
mit Urfin Juice und den kriegerischen Marranen geholfen, und jetzt
hoffen wir, sie werden uns lehren, den Winter zu bekämpfen, der auf
unsere Felder und Wälder zurückt…“
Der Kapitän erwiderte kopfschüttelnd: „Ihr irrt Euch, mein Freund, wenn
Ihr meint, man könne den Winter mit warmen Häusern und warmer
Kleidung besiegen. Bei uns kommt der Winter und vergeht, auf ihn folgen
Frühling und Sommer. Bei Euch aber wird der Winter, wie ich Euren
Worten entnehme, ewig andauern, wenn der Gelbe Nebel sich nicht
verzieht. Der wird aber so lange anhalten, als die tückische Arachna lebt.
Also steht die Frage so: Entweder die Hexe wird besiegt, oder das Zauberland geht unter. Und möge mir mein Holzbein in die Erde hineinwachsen,
wenn ich mich nicht einmische und nicht alles tue, um Euer
Weitere Kostenlose Bücher