Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
Tournai war ein unwirtliches Gemäuer, aber eine mächtige Palisade schützte sie. Chilperich suchte die Wachstube auf, wo sich einige seiner Gefolgsleute die Zeit vor ihrer nächsten Wache mit Würfelspielen verkürzten. Er rief einen der Männer zu sich.
Wenig später öffnete sich ein kleines Tor in der Umfriedung und entließ einen Reiter in die dunkle Nacht.
Sigibert hatte Paris verlassen, um die letzten Widerstandsnester in der Umgebung zu beseitigen. In einem Örtchen südlich von Paris machte er Station. Auch hier schlossen sich ihm neue Untertanen an und jubelten, sobald sie ihn kommen sahen. Als er den Hof erreicht hatte, der als Quartier dienen sollte, stieg er lachend vom Pferd.
Wittiges ritt ein Stück hinter ihm, etliche Leute drängten sich zwischen sie, es war kein Durchkommen. Zufällig bemerkte er Priscus und wunderte sich, wo dieser die ganze Zeit gesteckt hatte. Er hatte ihn mehrere Tage nicht gesehen. Woher kam er jetzt so plötzlich? Er machte jemandem ein Zeichen. Was für ein Zeichen? Wem? Wittiges spürte auf einmal eine furchtbare Anspannung. Etwas ging hier vor. Nicht alle jubelten, da waren Männer zwischen ihnen ...
Falco und Ingomer rannten auf Sigibert zu, der das Pferd noch am Zügel hielt. Es sah so aus, als wollten sie ihm das Ross abnehmen, aber dann blitzte etwas auf. Sigibert schrie, schwankte, krallte sich an Ingomer fest, und dann beobachtete Wittiges ganz genau die Bewegung des Arms. Das Zustechen.
Sigibert brach zusammen, Falco und Ingomer hoben die Dolche als Siegeszeichen hoch in die Luft. „Er ist tot! Wir haben den Thronräuber getötet!“, schrie Falco mit überschnappender Stimme.
Im Handumdrehen verwandelte der Hof sich in ein Schlachtfeld. Wittiges wusste nicht, gegen welchen Gegner er kämpfen sollte oder wer von den Männern nun auf wessen Seite stand. Er versuchte, zu Sigibert vorzudringen, er wollte wenigstens einen der Meuchelmörder niedermachen. Gogo kam ihm zuvor und köpfte Falco mit einem einzigen gewaltigen Hieb. Wittiges ließ Bauto tänzeln, allmählich wurde der Raum knapp, und nun wurde er selbst angegriffen. Die Gefolgsleute von eben hatten wieder die Seite gewechselt. Als er sich umsah, erkannte er, wessen Befehl sie folgten.
Priscus. Priscus war auf einmal der Feind.
Wittiges rief seine Männer zu sich, diejenigen, auf die er sich noch verlassen konnte. Sie kämpften sich ihren Weg frei, aber kaum hatten sie den Hof verlassen, stellten sich ihnen neue Gegner in den Weg. Der Aufruhr nahm immer größere Ausmaße an.
Irgendwann ritt Gogo neben Wittiges. „Reite voraus nach Paris“, schrie Gogo, „rette die Königin!“
Jetzt hatte Wittiges wenigstens ein Ziel.
Brunichild war mit den Kindern in Paris geblieben, in dem Palast, den früher Charibert bewohnt hatte, und dessen größter Teil noch aus der Römerzeit stammte. Die Gebäude lagen auf einer Insel mitten im Fluss und waren nur über eine schmale Brücke zu erreichen. Im Sommer stiegen Wolken von Mücken aus dem Wasser auf und machten das Wohnen auf der Insel unerträglich. Sigibert hatte davon gesprochen, seine Residenz nach Paris zu verlegen, das wollte sie ihm noch ausreden oder ihn zumindest dazu bringen, einen neuen Palast an einer günstigeren Stelle zu errichten. Von draußen drang Lärm herein, aber sie achtete nicht weiter darauf. Als es immer lauter wurde, trat sie vor die Tür. Es wurde ohnehin Zeit, nach Childebert suchen zu lassen, der sich vor einiger Zeit abenteuerlustig davongemacht hatte. Für ihn war alles neu und aufregend hier. Außerdem hasste es der Fünfjährige, mit seinen Schwestern spielen zu müssen. Brunichild blickte zurück ins Zimmer. Ingund beschäftigte sich mit Schreibübungen und ihre kleine Schwester Chlodosinth lag auf einer Decke am Boden und spielte mit den Fingern. Die Amme döste in einem Lehnstuhl am Fenster.
Brunichild lebte noch ganz im Rausch der letzten Siege, und in der Vorfreude auf den nächsten. Den endgültigen Triumph. Sigibert wollte mit einem Teil seiner Streitmacht noch vor Wintereinbruch auf Tournai vorrücken. In der Nacht zuvor hatte Brunichild von Chilperich geträumt, von seinem Kopf, der auf einem Pfahl steckte, sie ansprach, an ihre Liebe erinnerte und ihr bittere Vorwürfe machte, weil sie ihn verraten hatte. Sie war schreiend aufgewacht.
Draußen erhob sich jetzt auch Geschrei, und es war nicht das übliche Getöse. Brunichild eilte den Flur entlang und erreichte eine Galerie, die über einer großen Empfangshalle
Weitere Kostenlose Bücher