Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
kommst du in den Fluss?“, fragte sein Retter argwöhnisch.
Wittiges hatte eine ungefähre Vorstellung von seinem Äußeren und verstand das Misstrauen des Mannes vollauf. Seine Kleidung bestand nur noch aus Lumpen, er spürte den nassen, ungepflegten Bart und die langen Haare, die sich ihm um den Hals wanden. Langsam setzte er sich auf und schüttelte sich wie ein Hund.
„Ist das wichtig?“, nuschelte er. „Siehst du nicht, dass ich trockene Sachen brauche und etwas Warmes im Bauch?“
Unauffällig blinzelte er zum Fluss und zum jenseitigen Ufer. Die Strömung hatte ihn eine ganze Strecke fortgetrieben und drüben stand keiner, der seine Rettung beobachtet hatte. Wahrscheinlich waren die Wächter davon ausgegangen, dass er sofort ertrunken war.
„Ich könnte dich zurück in den Fluss schmeißen“, brummte sein Retter ungnädig, „aber ich bin Christ. Also komm mit und erzähl mir deine Geschichte später. Ich nehme an, es sind sowieso nur Lügen. Wer in diesen Zeiten die Wahrheit sagt, ist von Gott verlassen.“
Der Mann war ein halbfreier, kleiner Pächter und hatte wie viele andere unter Sigiberts Truppen gelitten, die in der Umgebung von Paris entsetzlich gehaust hatten. Seine Vorräte waren ihm geraubt worden, und deshalb hatte er versucht, ein paar Fische zu angeln. Einen hatte er tatsächlich schon aus dem Fluss geholt. Und dieser eine bescheidene Fisch stellte die Mahlzeit da, die die Familie in großherziger Weise mit Wittiges teilte. Mehr konnten sie nicht für ihn tun, und bleiben durfte er auch nicht. So machte er sich am nächsten Tag in der Morgendämmerung auf unsicheren Füßen auf den langen Marsch zurück nach Hause. Er brauchte zwei Wochen dazu. Unterwegs traf er immer wieder hilfreiche Menschen, die bereit waren, ihm ein Obdach und eine kleine Mahlzeit zu gewähren. So viel Unterstützung hatte er nicht erwartet, aber er lernte, dass das alte Gesetz der Gastfreundschaft noch nicht gänzlich in Vergessenheit geraten war. Kaum jemand wollte den Zorn der alten und der neuen Götter auf sich laden, indem er einen Bedürftigen, der an die Tür klopfte, nicht einließ. Einige Male gelangte er zu verlassenen Gehöften, die völlig verwüstet waren, wo er aber einen Schlafplatz und manchmal etwas zu essen fand.
Das letzte Stück Weg war das schwerste, obwohl er wieder halbwegs zu Kräften gekommen war. Aber seine Stiefel waren durchgelaufen und seine Fußsohlen voller blutiger Schnitte, sodass jeder Schritt zur Qual wurde. So erreichte er die Abzweigung, die von der Straße nach Paris zu seinen Dörfern und zu seinem Gut führte. Er wollte sich am Wegrand ein wenig ausruhen, als er hinter sich Hufschlag hörte. Vorsichtig zog er sich vom Wegrand zurück ins Unterholz. Weniger der Reiter als vielmehr das Pferd erregte seine Aufmerksamkeit. Er pfiff. Das Tier geriet aus dem Tritt. Er pfiff noch einmal, diesmal lauter. Der Hengst warf seinen Reiter ab.
„Verdammt!“, schimpfte der Mann, dem anscheinend nicht viel passiert war.
Wittiges robbte auf dem Bauch an den Wegrand zurück und richtete sich langsam auf. Das Pferd wieherte freudig und kam auf ihn zu, bis es ihn mit seinen weichen Nüstern beschnuppern konnte.
„Tja, Bauto“, sagte Wittiges langsam, „da staunst du, dass wir wieder zusammen sind.“
Grob wurde Wittiges auf die Füße gezogen und in eine Umarmung gequetscht.
„Du bist es, nicht wahr? Ich hab immer gesagt, eines Tages kehrst du zurück.“
Wittiges stemmte sich gegen die Umklammerung, konnte aber nicht viel ausrichten. „Pontus, lass los, bevor mir die Luft ausgeht. Bitte!“
Pontus hielt ihn von sich weg und starrte ihn an. „Du siehst aus, als wärst du dein eigenes Gespenst.“
„Da hättest du mich erst vor zwei Wochen sehen sollen. Solange bin ich schon unterwegs zu euch. Ich weiß nicht, wohin du gerade wolltest. Aber macht es dir etwas aus, mich aufsitzen zu lassen? Und erzähl mir, seit wann du zurück bist.“
Einträchtig legten sie den Weg nach Casa alba zurück, Wittiges reitend, Pontus zu Fuß. Wittiges wusste inzwischen, dass vier Monate seit seiner Gefangennahme vergangen waren. Pontus war seit einem Monat wieder zurück. Auch er war in Gefangenschaft geraten, hatte sich aber befreien können. Wittiges fragte nach Gogo und Brunichilds Sohn, und auch darüber konnte ihm Pontus Auskunft erteilen. Childebert war zum König erklärt worden, aber da er noch zu jung war, führte Gogo die Regierungsgeschäfte für ihn. Brunichild und ihre Töchter
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