Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
selbst wenn, hätte ich sie nicht ins Vertrauen ziehen können. Sie wollte stets einen verantwortungsbewussten Mann und eine finanziell abgesicherte Zukunft für mich. Und einen gewissen Komfort. Wenn ich früher mit Freunden nach Hause kam, die an einer Bilderbuchkarriere nicht interessiert oder dafür nicht geeignet waren, empfing sie diese immer ziemlich unterkühlt. Sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, was ich getan hatte. Was ich riskiert hatte und vor allem für wen. In Michel würde sie lediglich einen jungen Kerl von zwanzig Jahren mit einem alten Motorrad sehen. Einen ungelernten Bauarbeiter, ohne Bildung, Geld oder sonstigen Besitz. Ja, sie würde wirklich im Grab rotieren. Dass Verstorbene nicht als unsichtbare Geister umgingen, davon war ich inzwischen überzeugt. Denn wüssten sie vom Treiben der Lebenden, könnten sie ihnen von ihrer transparenten Welt aus zuschauen, dann wäre meine Mutter längst als Erscheinung bei mir aufgetaucht.
    Ich ging zurück in die Küche, um die Gläser zu holen. Nahm die Butter und den Käse aus dem Kühlschrank und legte sie neben die Baguettes auf den Tisch. Der Küchenwecker klingelte. Ich goss die Tagliatelle ab. Während ich die Zutaten mischte, dachte ich an die Zeit zurück, als ich meine Mutter nach und nach an Eric gewöhnt hatte. Es hatte lange gedauert, sehr lange, bis sie bereit gewesen war, ihn zu akzeptieren. Eric kam aus keiner begüterten Familie, sondern war ein junger Spund wie alle anderen und ihrem Empfinden nach nicht gut genug für mich. Ich war ihre einzige Tochter. Das einzige Kind, das sie zur Welt gebracht hatte, aus blinder, vielleicht sogar leidenschaftlicher Liebe zu einem Mann, der sie ein paar Jahre nach meiner Geburt im Stich gelassen hatte, weil er noch nicht so weit gewesen war, sich zu binden - und wahrscheinlich auch nie so weit sein würde. Das hatte sie mir in einem der sehr seltenen und immer viel zu kurzen Augenblicke erzählt, in denen sie sich für mich geöffnet, mir einen Blick auf ihr Innerstes gewährt hatte. Mir gezeigt hatte, was sich hinter der selbstsicheren Maske verbarg, die sie sich im Lauf ihres Lebens zugelegt hatte. Liebe, sagte sie mir dann, sei nicht wichtig. Liebe sei nur Ballast und werde überschätzt. Von Liebe könne man die Stromrechnung nicht bezahlen. Meine Mutter hatte es schwer gehabt, sehr schwer. Das wollte sie mir ersparen.
    Letztlich ging es ihr dabei um mich: Ihre Halsstarrigkeit war aus genau der Liebe erwachsen, die sie sich selbst ihr ganzes Leben lang verwehrt hatte. Aber diese Erkenntnis war mir erst später gekommen, als meine Mutter schon lange nicht mehr am Leben war.
    Die Jungs kamen die Treppe herunter, drängten sich an mir vorbei und wuschen sich am Spülbecken die Hände. Sie rochen nach frisch gesägtem Holz, die Kleidung voller kleiner Splitter und Staub. Bruno lehnte am Kühlschrank und drehte sich eine Zigarette. Sein blondiertes Haar war vom Staub so verfilzt, dass es in alle Richtungen abstand. Er trug ein fahles, orangefarbenes T-Shirt, das zerknittert und dreckig war. Ich nickte ihm zu und lächelte. Sollte ich ihn fragen, wo Michel war?
    Ich stellte zwei Schüsseln dampfende Tagliatelle auf den Tisch und setzte mich.
    Während des Essens sprach ich nicht viel. Zuhören tat ich sehr wohl, in der Hoffnung, dass irgendjemand eine Bemerkung über Michel machen oder nach ihm fragen würde. Bruno musste wissen, was los war, er wohnte doch mit ihm im selben Haus, und die beiden waren Freunde, wie Michel mir in Arcachon erzählt hatte. Also richtete ich meine Antennen vor allem auf Brunos Äußerungen aus, aber der schien lediglich an den technischen Details der Arbeiten im oberen Stockwerk des linken Flügels interessiert zu sein.
    »Nächste Woche können wir dann endlich in unserem eigenen Bett schlafen«, sagte Eric zu mir. »Wahrscheinlich Ende der Woche. Prima, was?«
    Ich lächelte.
    »Meinst du, die Gardinen werden rechtzeitig fertig?«, fragte er.
    »Bis Montag, haben sie mir versprochen. Sie wollten anrufen und Bescheid sagen, wann sie sie bringen.«
    Eric wandte sich wieder an Peter. Er schien viel von Peter zu halten, was offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Der Beginn einer Freundschaft. Auch weil Eric und Peter so viel Zeit zusammen verbrachten, fühlte ich mich immer einsamer. Freundinnen hatte ich noch nicht gefunden. Aber es war Unsinn, in diesem frühen Stadium daraus schon irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Ich musste optimistischer denken. Am

Weitere Kostenlose Bücher