Der Geliebte
Als hätte ich einen Fremden am Telefon.
Ich erschrak.
»Wie … wie spät ist es denn?«, fragte ich.
»Viertel vor zwölf.«
Viertel vor zwölf. Bis in die Puppen geschlafen. Wie lang hatten wir eigentlich durchgemacht letzte Nacht?
»Ich hab ein bisschen länger geschlafen«, sagte ich rasch, und das war noch nicht mal gelogen. »Im Wohnwagen hört man das Telefon nicht.« Auch das stimmte.
»Nein, das ist mir schon klar. Ich habe immer abwechselnd das Festnetz und dein Handy angerufen, aber das hattest du nicht an.«
Nervös zog ich an der Telefonschnur. »Tut mir leid. Ich glaub, ich hab vergessen, es aufzuladen, jetzt ist die Batterie wahrscheinlich leer.«
»Wo hast du eigentlich deinen Kopf, Simone? Na, egal. Jedenfalls stehe ich hier in Schiphol, in einer halben Stunde geht mein Flug. Kannst du mich in Mérignac abholen?«
»Ich … wann kommst du an?«
»Etwa anderthalb Stunden später. Am besten fährst du gleich los. Ich habe keine Lust, noch ewig am Flughafen zu warten.«
»Gut, ich komme.«
»Okay, dann bis gleich.«
Eric legte auf.
Bleu sah mich mit schief gelegtem Kopf erwartungsvoll an. Ich öffnete einen Schrank, holte eine Packung Hundefutter heraus und füllte seinen Napf. Meine Bewegungsabläufe waren nicht besonders gut koordiniert, die Hälfte der Brocken fiel daneben.
Ich eilte zum Wohnwagen zurück.
Michel muss verschwinden, ich muss das Bett frisch beziehen, die Bettwäsche in die Waschmaschine stecken und duschen. In dieser Reihenfolge. Und all das in einer Viertelstunde. Nein, schneller.
Das schaffte ich nie und nimmer, ich würde zu spät kommen, das wusste ich jetzt schon.
Ich riss die Tür des Wohnwagens auf. Michel saß aufrecht im Bett und fuhr sich durchs Haar. Träge sah er mich unter gesenkten Lidern an. Sein Blick warf mich völlig um. Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen.
Ich bekam keinen Ton heraus.
»Komm her«, sagte er. »Ich war noch nicht fertig mit dir.«
Die Panik in mir breitete sich immer weiter aus. »Das geht nicht. Eric hat angerufen, ich muss ihn abholen. Vom Flughafen. Jetzt sofort.«
Er reckte sich. Die Decke sank herab und gab seine Brust frei. Breit und athletisch, sie schien aus nichts als lauter kleinen Muskeln zu bestehen. »Kein Frühstück?«
»Nein, du musst weg, du musst wirklich weg.«
Er schob die Decke beiseite. Ich gab mir alle Mühe, ihn nicht anzusehen, er sah einfach zu gut aus. Zu einladend. Das Herz hämmerte mir unkontrolliert unter den Rippen, mein Unterleib wurde warm und weich. Damit ich endlich mit dem Blick von ihm ließ, las ich nervös seine Kleidung vom Boden auf und hielt ihm das Bündel hin. Wenn ich ihn noch ein einziges Mal ansah, war ich verloren. »Du musst wirklich gehen.«
Er nahm seine Kleider entgegen, legte sie zur Seite und stand auf. Umarmte mich. Seine Hände strichen über meinen Rücken, meinen Po.
»Du …«, wiederholte ich.
Sein Mund auf dem meinen. Er drückte seinen Unterleib an mich. Ich spürte seine Erektion am Bauch.
»… musst …«
Ein intensiver Blick, unmöglich zu ignorieren. Mein letztes Wort erstarb in einem Stöhnen.
»Stau«, flüsterte er und rieb seine Nase an meiner, während er mich rückwärts zum Bett drängte. »Sag, du hast im Stau gestanden. Die A630 ist ein Hexenkessel …«
Bastian und Isabelle verspürten keinerlei Bedürfnis, zurück nach Hause mitzufahren. Wir saßen am Rand des überdachten Campingplatz-Schwimmbads und tranken Wein, während ich die beiden schon dreimal gerufen hatte. Bastian tauchte immer wieder ab und schwamm unter Wasser zur anderen Seite, während Isabelle in der Mitte des Beckens blieb, außerhalb meiner Reichweite, und mich triumphierend ansah. Mit Hilfe von zwei Schwimmreifen hielt sie sich über Wasser, einer mit Mickey Mouse und ein großer von Barbie. Zwischen all dem bunten Plastik war ihr Gesicht kaum zu sehen.
»Dann lasst sie doch einfach hier«, schlug Erica vor.
»Sie müssen Montag wieder zur Schule.«
»Oder kommt sie morgen Abend holen. Uns stören sie nicht, ich finde es eigentlich ganz nett mit ihnen.«
»Ja, lass uns doch auch mal Eltern spielen«, sagte Gerard. Er hatte die Beine auf einen weißen Klappstuhl gelegt. Auf seinem behaarten Bauch balancierte er zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger einen Plastikbecher mit Rotwein. »Ich hatte einen Mordsspaß mit den beiden. Heute Morgen kamen sie schon um sieben zu uns ins Bett gehüpft.«
»Isabelle spricht schon ziemlich gut Französisch«, bemerkte
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