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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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man konnte auf Anhieb sehen, dass er ein verspielter junger Hund war, dass sein Leben gerade erst angefangen hatte. Ihm standen noch alle Möglichkeiten offen. Er war wahrscheinlich auch zu jung, um diese Sache überhaupt ernst zu nehmen. Ich hatte eine Familie, ein geordnetes Leben, ich hatte mir sowohl im Materiellen wie im Sozialen einiges erarbeitet. Das trug ich jetzt mit mir herum. Michel hatte nichts zu verlieren, ich hingegen mehr oder weniger alles, was ich mir mit viel Schweiß und Mühe aufgebaut hatte. Eric, Isabelle, Bastian … ich liebte sie. Als ich an das liebe Lächeln und die ständig schief hängenden Zöpfe von Isabelle und an den rüden Tonfall von Bastian dachte, der so gar nicht zu seinem sensiblen und anhänglichen Charakter passen wollte, kamen mir schon wieder die Tränen. Ich konnte sie nicht im Stich lassen. Es ging nicht. Sie brauchten mich.
    Ich musste mir Michel aus dem Kopf schlagen, ein für alle Mal, damit die Erinnerungen an ihn möglichst schnell verblassten und ich wieder so etwas wie Realitätssinn entwickelte.
    Der war sowieso nicht meine große Stärke.
     

18
     
    Der Käsehobel glitt über den Parmesan. Parmigiano Reggiano, in nichts vergleichbar mit dem seifenartigen Pulver aus kleinen Tütchen, das ich in einem früheren Leben in den Niederlanden als Parmesankäse betrachtet hatte. Der echte, den man am Stück kaufte, war schrecklich teuer, gab aber prächtige, zentimeterbreite Löckchen ab, die in guten Restaurants bisweilen auf Carpaccio gestreut wurden und so dünn waren, dass sie auf der Zunge schmolzen. Mit einem hölzernen Kochlöffel rührte ich ab und zu die Pinienkerne um, die auf großer Flamme in einer beschichteten Pfanne rösteten. Die Speckwürfel waren bereits angebraten und tropften gerade auf drei Lagen Küchenpapier ab, das Dressing stand auch schon bereit.
    Es regnete und wurde auch immer kühler, sodass wir nicht mehr draußen essen konnten. Der hölzerne Esstisch stand nun keine fünf Meter von mir entfernt in der großen Diele. Heute war für eine Person weniger gedeckt. Michel war nicht da. Schon seit vier Tagen nicht. Ich fragte mich, wo er sich herumtrieb. Hatte es mit mir zu tun? Brauchte Peter ihn auf einer anderen Baustelle? War er krank?
    Peter zu fragen traute ich mich nicht, weil ich Angst hatte, mein Interesse könnte den anderen Arbeitern auffallen. Eigentlich lächerlich, denn wenn Pierre-Antoine oder Louis nicht aufgetaucht wären, hätte ich mich wahrscheinlich genauso nach dem Grund erkundigt.
    Ich nahm zwei Doppelliterflaschen Wasser sowie den Salat aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch. In der Diele hatte der Wind freies Spiel. Von draußen peitschte der Regen herein, direkt auf den Eichenholzboden. Morgen würden wir Türen und Fenster bekommen. Es war also nur noch eine Frage von Tagen, bis das Haus »dicht« wäre, wie Peter und Eric sich ausdrückten. Darauf freute ich mich schon.
    Nächste Woche würde ich mich endlich mehr einbringen können, weil dann im ersten Stock des linken Flügels die provisorischen Schlafzimmer eingerichtet werden sollten. In den letzten Tagen war ich unterwegs gewesen, um Gardinen und Teppiche auszusuchen und zu bestellen. Für die Kinderzimmer war meine Wahl auf Königsblau gefallen und für den Raum, in dem Eric und ich in den nächsten Monaten schlafen würden, auf Elfenbeinweiß. Um eine persönliche Note war es mir dabei nicht gegangen, denn schon nächstes Jahr sollten diese Zimmer ja als Gästezimmer dienen.
    In der letzten Zeit fühlte ich mich ein bisschen heimatlos und fand keine Ruhe. Weil es dauernd regnete, kam der kleine See nicht mehr in Betracht, wenn ich kurz durchatmen, einen Moment allein sein wollte. Nur in den Wohnwagen konnte ich mich zurückziehen, auch wenn er mich immer so an Michel ernnerte. Dennoch hatte ich in den letzten Tagen mehr als einmal im Bett gelegen und stumpf vor mich hin gestarrt, mit einem Kissen im Arm und einem Buch neben mir.
    Ich brauchte jemanden zum Reden. Jemanden, dem ich vertrauen konnte. Aber ich wagte nicht, zum Telefon zu greifen, es sei denn für irgendeine oberflächliche Unterhaltung, denn ich hatte Angst, dass Erica oder wer auch immer die Neuigkeit weitererzählen würde, bis sie schließlich über irgendwelche Umwege doch bei Eric ankam. Wir waren zwar tausend Kilometer von unserem alten Dorf weggezogen, aber die Kommunikation funktionierte trotzdem blitzschnell. Das Risiko war einfach zu groß.
    Meine Mutter lebte nicht mehr, und

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