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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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das wirklich so schlimm?
    Ich warf einen kritischen Blick auf den Radiowecker. Es war neun Uhr. Um zehn musste ich zu Hause sein, alles andere würde ich nicht erklären können. Das bedeutete, dass ich in einer halben Stunde wegmusste.
    Wirkte es dann schon nicht mehr? Oder würde es bedeuten, dass ich meiner Familie nachher mit geweiteten Pupillen unter die Augen treten musste, strotzend vor Energie und Übermut?
    Ich hatte es so oft im Fernsehen gesehen. So viel darüber gelesen.
    Alle nahmen das Zeug. Mein eigener Schwager, eine gute Freundin, ganze Volksstämme. Einfach alle. Warum also nicht auch ich?
    Eine neue Erfahrung. Ich spürte, dass ich vor Aufregung zitterte. Freud, Edison und Jules Verne hatten auch alle Kokain genommen. Und wenn sie es getan hatten …
    Ich atmete schnell. Mein Blick huschte von Michel zu dem weißen Pulver. Ich sah noch einmal auf die Uhr.
    »Ich mache das nicht«, sagte ich. Ich hatte laut gesprochen, aber eher zu mir selbst als zu Michel.
    Er lag auf dem Bett und sah mich an. Träge. »Da passiert nichts. Ein Zehntel Gramm. Nach einer Stunde spürst du nichts mehr.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte es wirklich nicht. Sorry.«
    »Angst?«
    Ich nickte.
    »Schade.«
    Ich legte mich mit aufs Bett, kuschelte mich an ihn und küsste ihn auf die Nase. »Ist aber lieb von dir.«
    Er lächelte, spielte mit meinem Haar. »Du weißt nicht, was du verpasst.«
    »Vielleicht ist das ganz gut so.«
    Über meine Schulter blickte er zu dem kleinen Häuflein weißen Pulvers hinüber. Schmiegte sein Kinn in das Grübchen an meinem Hals. Streichelte geistesabwesend meinen Bauch. Ich schauderte.
    »Soll ich es aufheben?«, fragte er. »Fürs nächste Mal?«
    Ich zweifelte. Vielleicht zu lange.
    »Schon gut«, sagte er. »Es muss ja nicht sein.«
    Komischerweise bekam ich jetzt ein schlechtes Gewissen. Ich hatte keine Ahnung, wie viel das Zeug wert war und was es ihn gekostet hatte, es für mich zu besorgen, aber ich konnte mir vorstellen, dass es nicht ganz leicht gewesen war. Viel Geld hatte er sicher nicht, und die französische Drogengesetzgebung war schrecklich rigide. Michel hatte Kopf und Kragen für mich riskiert, und ich bürgerliche Tussi traute mich nicht.
    »Das war doch nicht nötig«, sagte ich. »Das ist doch viel zu teuer. Und zu riskant.«
    »Ich wollte dir etwas geben, was du gern haben willst … und wovon Eric nichts zu wissen braucht.«
    »Das gibst du mir doch schon«, sagte ich. Mit der Hand strich ich über seinen Bauch und weiter abwärts. »Mehr als genug davon. Glaub mir.«
     

23
     
    Jede Art von Aktion führt unwiderruflich zu einer Reaktion. Worte, Blicke, ein vergessener Händedruck oder ein zu ausgedehntes Schweigen. Die tausend anscheinend so unbedeutenden Entschlüsse, die man täglich bewusst oder unbewusst trifft, kann man sich wie mit jedem Schritt, jeder Begegnung von Neuem achtlos in Raum und Zeit geworfene Bumerangs vorstellen.
    Viele kommen ganz in der Nähe auf und versanden. Andere kehren exakt dorthin zurück, wo ihre Flugbahn angefangen hat.
    Für die Treffer ist man nicht selten selbst verantwortlich. Unbewusst.
     
    Montagmorgen, halb zwölf. Die breite Tür zur Diele - brandneu, gerade erst grundiert - stand sperrangelweit offen. An ein zu allen Seiten hin offenes Haus hatte ich mich in den letzten Monaten bereits gewöhnt. Die verfallenen Scheunen auf der anderen Seite des Hofs sahen trübselig aus. Es nieselte ein bisschen. Das Zirpen der Grillen hatte ich schon eine Weile nicht mehr gehört. Die Frösche hatten sich wahrscheinlich unter der dicken, warmen Modderschicht am Grund unseres Sees in Sicherheit gebracht, und die Schwalben waren fortgeflogen. Anfang November in Südfrankreich.
    Die Jungs taten, was sie konnten, um die Stille zu kompensieren. Sie waren oben bei der Arbeit und machten einen enormen Lärm. Der Staub wirbelte bis in die Diele hinunter. Die alten Kacheln im Bad mussten dran glauben. Rechts neben der Treppe standen eine Badewanne, eine Duschtür und ein Waschbecken, alles noch in Luftpolsterfolie und Kartons verpackt.
    Zerstreut stellte ich eine Bratpfanne aufs Feuer, wartete, bis sie sich erhitzt hatte, und gab dann einen ordentlichen Schuss Olivenöl mit Zitrone hinein. Aus der Tiefkühltruhe fischte ich ein kleines Glas mit tiefgefrorener Petersilie und streute sie über die lauwarmen Kartoffeln. Dann noch ein bisschen grobes Meersalz, bevor ich den Inhalt des Siebs in das heiße Öl gleiten ließ. Kurz zischte

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