Der Geliebte
Gestells.
Theo und Betty hatten uns mit zunehmender Begeisterung die Gästezimmer gezeigt - es waren sechs an der Zahl, mit antik wirkenden Möbeln, weiß getünchten Balkendecken und Böden aus unbehandeltem Eichenholz. Die chambres d’hôtes befanden sich anders als bei uns nicht im selben Gebäude, sondern auf der anderen Seite des Vorplatzes mit kleinen Teichen, Springbrunnen, Rosensträuchern und Statuen. Wenn hier die Sonne schien, gab das bestimmt ein prima Foto für die eigene Webseite. Im Augenblick jedoch prasselte ohne Unterlass Regen auf den grauen Schotter.
Ich spießte ein Stück Fisch auf die Gabel. Frittierter Wels. Theo war Chefkoch - angeblich hatte er sich seine Sporen wohl verdient, dennoch war ich heute Abend von seinen Kochkünsten nicht sonderlich angetan.
»Habt ihr euer Haus in den Niederlanden auch so gut verkaufen können?«, fragte Betty.
»Wir haben totales Glück gehabt«, antwortete Eric. »Wir hatten es in den 90ern für mehr als zweihunderttausend gekauft - Gulden, versteht sich. Damals wollte außer den Einheimischen noch niemand in dem Dorf wohnen. Wir sind von all unseren Freunden für verrückt erklärt worden: Wieso sucht ihr euch etwas, das so weit ab vom Schuss liegt? Inzwischen wohnen die aber alle auch nicht mehr in der Stadt.«
»Das passiert doch im Augenblick überall in den Niederlanden«, sagte Theo. »Vor zwanzig Jahren wollten alle in die Randstad, jetzt ziehen sie da in Massen wieder weg. Es ist der totale Hype. Die Leute gehen nach Friesland, Groningen, Drenthe … - in die Provinz, wo noch Platz ist.«
»Und wo der Wohnraum noch bezahlbar ist«, pflichtete Betty ihm bei.
Ich nahm noch einen Schluck Wein. Ich trank zu viel, aber das beruhigte mich wenigstens, es half mir, den Abend zu überstehen.
»Das ist inzwischen auch vorbei«, bemerkte Eric. »Dasselbe Haus bei uns im Dorf, das vor fünfzehn Jahren noch zweihunderttausend wert war, hat letztes Jahr fast fünfhunderttausend eingebracht. Und zwar in Euro. Unglaublich eigentlich, wie schnell das gegangen ist. Es hat überhaupt keine reale Entsprechung mehr.«
Betty schmierte etwas selbst gemachte Tapenade auf ein Stück geröstete Baguette. »Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum hier immer mehr Leute von außerhalb herziehen. Die Hauspreise in Kombination mit dem Platz, den man hier hat. Dank Internet und Telefon sind Entfernungen ja immer leichter zu überbrücken, also schauen die Leute sich zunehmend auch außerhalb der Heimat um. Man lebt schließlich nur einmal. Die Briten rennen auch nur noch schreiend weg, habt ihr deren Preise mal gesehen? Letztes Jahr standen wir in der Gegend von Brighton vor dem Schaufenster eines Maklers. Wirklich un-glaub-lich! Und hier bekommt man für dasselbe Geld, für das man sich in den Niederlanden oder England eine Dreizimmerwohnung leisten kann, einen freistehenden Bauernhof mit ein paar Hektar eigenem Grund und Boden.«
»Und besseres Wetter.« Theo kratzte die letzten Reste Wels zusammen. »Das war für mich eigentlich der Hauptgrund. Mit der ständigen Kälte und dem Regen habe ich nie meinen Frieden geschlossen.«
Betty und Theo waren nette, unterhaltsame Menschen, keine Frage, aber es klickte nicht zwischen uns. In den Niederlanden hätte ich sie wahrscheinlich nicht mal kennengelernt, weil wir in unterschiedlichen sozialen Kreisen verkehrten. Das war typisch für Leute, die aus demselben Land kamen und nun gemeinsam in der Fremde wohnten: Die Muttersprache war der gemeinsame Nenner, und wenn man darüber hinaus noch etwas aneinander fand, umso besser. Eine große Auswahl an Landsleuten hatte man schließlich nicht. Geschweige denn an solchen, die Kinder im Alter von Bastian und Isabelle hatten.
»Wir hatten hier aber auch schon einigen Regen«, bemerkte Eric. Er stieß mich mit dem Ellbogen an. »Weißt du noch, wie unsere erste Woche hier aussah?«
»Ja, natürlich weiß ich das noch. Regen, Regen, Regen.«
Betty beugte sich zu mir vor. »Auf genau den Regen hatten wir hier alle nur gewartet. Der Juli war extrem trocken. Mit Temperaturen, bei denen man fast erstickt wäre. Über fünfunddreißig Grad. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir jemals Regen oder kaltes Wetter wünschen würde, aber letzten Sommer habe ich wirklich danach geschmachtet. Es war unerträglich. Wenn man Butter auf dem Tisch stehen ließ, war die eine Stunde später flüssig.«
Theo klopfte mit den Fingern eine Zigarette aus seiner Marlboro-Schachtel heraus. »Ihr braucht
Weitere Kostenlose Bücher