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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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er regelrecht in Gelächter aus.
    »Topunterhaltung, Simone! Die Serie ist einfach großartig! Na, zum Glück haben wir das besser hingekriegt als diese beiden Stümper …«
    Ich fühlte mich zu keinerlei Reaktion bemüßigt. Stattdessen ließ ich die Ereignisse des Tages vor meinem inneren Auge Revue passieren und suchte nach dem Faden, dem ich nur zu folgen brauchte, um aus diesem Labyrinth herauszufinden.
    Es gelang mir nicht, oder vielleicht war ich auch zu durcheinander, um darauf zu kommen. Ich hatte mich noch nie so einsam gefühlt, so leer. Und mehr denn je machte es mir jetzt zu schaffen, dass ich niemandem mein Leid klagen konnte.
    Ich nahm mir vor, nächsten Freitag doch wieder zu Michel zu fahren. Und sei es nur um ihn zu fragen, warum er am Sonntag nicht aufgetaucht war. Außerdem wollte ich ihn damit konfrontieren, wie Peter sich heute mir gegenüber verhalten hatte, wollte ihm erzählen, dass ich mich bedroht fühlte, und zwar ziemlich heftig. Wenn Michel ihn dann immer noch toll fand, war die Sache klar. Oder zumindest ein bisschen klarer.
    Ich blätterte im Wörterbuch, suchte den französischen Ausdruck für »bedrohen« und übte im Stillen ein paar Sätze für Freitag ein.
    »Meine Güte, sogar ich kann das besser«, rief Eric.
    Ich hob den Blick und sah im Fernsehen den grauhaarigen Engländer, eindeutig ein älteres Semester, mit hochrotem Kopf Steine durch die Gegend schleppen. Dann kam Werbung.
    Eric stand auf. »Ich hol uns noch eine Flasche Wein.« Er ging nach unten.
    Ich stand auf, um die Tür hinter ihm zu schließen, damit die Wärme nicht aus dem Raum hinauszog, überlegte es mir dann aber anders und ging ebenfalls die Treppe hinunter. Ich hatte plötzlich enorme Lust auf eine Tasse heißen Tee.
    Es war wirklich verdammt kalt. Isabelle und Bastian, die jetzt in ihren Pyjamas unter doppelten Decken schliefen, taten mir richtig leid. In den Niederlanden war eine Zentralheizung etwas völlig Normales gewesen.
    Hier war nichts mehr normal.
    In der Küche plagte Eric sich mit einem Korkenzieher ab. Als ich den Wasserkessel mit einem halben Liter Mineralwasser aus dem Kühlschrank füllte, sah er auf.
    »Tee? Bist du sicher, dass du nicht krank bist, Simone?«
    Bleu strich ihm um die Beine. Unserem Vierbeiner machte die Kälte nichts aus. Er wollte nicht einmal im Wohnzimmer vor dem Ofen liegen.
    »So richtig fit fühle ich mich nicht«, sagte ich matt.
    Das Telefon klingelte.
    »So spät noch?«, brummte Eric und nahm ab.
    Nach meiner Uhr war es halb zwölf.
    Eric nannte seinen Namen, einmal, noch einmal. Dann sagte er mehrmals »hallo« und legte schließlich wieder auf.
    Ich sah ihn fragend an. Er zuckte mit den Schultern. »Nichts. Falsch verbunden, nehme ich an …« Er grinste und gab mir einen freundschaftlichen Klaps auf den Po. »Oder es ist dein heimlicher Geliebter.«
    Ich murmelte etwas und drehte mich zum Gaskocher um. Mein Blutdruck schoss in die Höhe, und während ich nach einem Teebeutel suchte, zitterten meine Finger. Michel hatte unsere Nummer nicht. Wir standen noch in keinem einzigen Telefonverzeichnis.
    Es gab nur einen einzigen Menschen, der unsere Nummer kannte und dem ich zutraute, dass er um diese Zeit noch anrief: Peter.
    Der Gang unseres Zellenblocks ist gefliest, grelle Neonbeleuchtung, Metalltüren mit Schiebeluken auf Augenhöhe.
    Ich höre jemanden schreien. Der Polizist, der mich begleitet, achtet nicht darauf.
    Hinter uns hämmert jemand unaufhörlich gegen eine der Zellentüren.
    Am Ende des Gangs befindet sich eine Gittertür. Dahinter steht ein weiterer Polizist. Auf seinem Rücken hängt ein Gewehr.
    Die Panik kehrt mit ganzer Heftigkeit zurück. Mein Herz scheint schneller zu schlagen. Mein Mund wird trocken.
    Der Polizist hinter der Gittertür mustert mich vom Scheitel bis zur Sohle, tauscht mit meinem Bewacher einen Blick des Einverständnisses aus und öffnet die Tür. Wir kommen in einen grell erleuchteten Durchgangsraum mit Systemdecke und Wänden in fahlem Beige. Hinter uns hämmert immer noch jemand in regelmäßigem Rhythmus gegen die Zellentür. Nachdem wir links abgebogen sind, verklingt der Lärm. Ein Flur mit Linoleumboden, an einer Seite eine Pinnwand, ein paar Dienstpläne.
    Gestern Abend muss ich auch hier entlanggegangen sein, wo sonst, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern. Mechanisch setze ich einen Fuß vor den anderen. Es ist fast, als würde ich schweben oder auf Kissen laufen. Das Herz hämmert mir wie wild im Brustkorb.
    Sie

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