Der Geliebte
Hand.
Auf dem Parkplatz des Restaurants liefen eine Menge Leute mit Kindern herum. Ein paar waren dem trüben Wetter zum Trotz auf dem nahe gelegenen Spielplatz.
Ich fuhr um das Gebäude herum auf die Rückseite des Restaurants, wo neben einigen überquellenden Mülleimern ein paar Autos - wahrscheinlich vom Personal - und zwei LKW-Anhänger geparkt waren. Es dauerte einen Moment, bis ich den Pfad entdeckt hatte, der in einen kleinen Wald hineinführte. Ich stellte den Volvo neben den Müllcontainern ab.
Im Wald war es so dämmrig, als bräche der Abend bereits an. Etwa dreihundert Meter von dem Parkplatz entfernt, direkt hinter einem kleinen Hügel, standen drei Wohnwagen neben einer Holzhütte. Keine Autos, Fahrräder oder Motorräder. Neben einem der Wagen stand eine Satellitenschüssel auf dem Boden. Sämtliche Türen waren zu, genau wie die Gardinen. Nirgends ein Lebenszeichen.
In diesen Landstrichen, so hatte ich in den letzten Monaten begriffen, gab es Leute, die ein unorthodoxes Leben führten, die von einem leer stehenden Wohnwagen oder gîte zum nächsten zogen und zwischendurch allerlei Saisonarbeit annahmen, die gerade zu bekommen war. Louis war einer von ihnen gewesen, wie er mir erzählt hatte. Und ganz gewiss nicht der Einzige, hatte er hinzugefügt.
Auch diese Wagen waren offenkundig nicht bewohnt, oder die Bewohner waren für längere Zeit abwesend.
Nervös sah ich auf die Uhr. Fünf nach zwei. Ich drehte mich zu dem Pfad um, der genauso still und verlassen dalag wie dieser Platz.
Bei der Holzhütte setzte ich mich auf einen schmutzigen Gartenstuhl.
Die Zeit verging. Viertel nach zwei. Zehn vor halb drei. Halb drei.
Jedes Mal, wenn ich einen Motor hörte, sprang ich auf und lief zu dem Pfad, aber es war immer falscher Alarm.
Viertel vor drei. Ich konnte nicht mehr stillsitzen, ich lief zwischen den Wagen auf und ab, mittlerweile hätte ich mich hier mit geschlossenen Augen orientieren können. Zweige knackten unter meinen Schuhen, Herbstblätter raschelten. Es kühlte ab, oder vielleicht kam es mir auch nur so vor. Ich steckte die Hände in die Taschen und sah den Wölkchen nach, die mein Atem in der Luft bildete.
Wo blieb Michel?
Allerlei Gedanken spukten mir durch den Kopf. Vielleicht war irgendetwas passiert, vielleicht hatte er einen Unfall gehabt. Mehr als einmal hatte ich Motorradfahrer gerade noch mit heiler Haut davonkommen sehen, Kamikazepiloten, die im Zickzack über kurvige Straßen mit Gegenverkehr rasten, sich um durchgezogene Linien nicht scherten und auf entgegenkommende Lastwagen nicht reagierten, indem sie auf ihre eigene Spur zurückkehrten, sondern die noch mehr Gas gaben. War Michel womöglich zu spät von zu Hause losgefahren und …
Drei Uhr.
Ich tigerte auf und ab, von den Wohnwagen zu dem kleinen Pfad und wieder zurück. Es fing leicht an zu regnen. Meine Finger waren vor Kälte ganz rot, und allmählich fing ich an zu zittern.
Warum hatten Michel und ich eigentlich nicht unsere Handynummern ausgetauscht? Dann hätte ich ihn jetzt anrufen oder ihm eine SMS schicken können. Dann wüsste ich jetzt mehr.
Vielleicht hatte ich am Freitagabend durch meine rosa Brille irgendetwas übersehen. Ich grub in meinen Erinnerungen und kam zu dem Schluss, dass wir uns eigentlich nur ein einziges Mal richtig unterhalten hatten: in Arcachon, auf der überdachten Terrasse des Le Pirate. Nämlich über Dialekte und so weiter, also über nichts Wesentliches. Danach war alles ganz schnell gegangen. Und im Wesentlichen ohne Worte.
Während ich zwischen den verlassenen Wohnwagen vergeblich auf ein Lebenszeichen von Michel wartete und mir immer kälter wurde, fragte ich mich, ob ich ihn nicht zu stark idealisierte. Ob ich mir nicht ein perfektes Bild von ihm gemacht und alles, was dazu nicht passte, ausgeblendet hatte. Wie gut kannte ich ihn wirklich? Was wusste ich von ihm?
Vorbestraft, das war Betty herausgerutscht. Nicht nur er, sondern alle, die für uns arbeiteten. Bei diesen Worten hatte ich auch begriffen, dass Peter nicht zu trauen war. Immer klarer wurde mir das jetzt. Michel hingegen betrachtete ihn quasi als Vater, das hatte er klipp und klar zu verstehen gegeben. Er wollte kein böses Wort über Peter hören.
Vielleicht war Michel ja auch zu Hause, saß mit einem Bier vor dem Fernseher, wollte einfach nicht mit mir reden, sich nicht von einer Frau festnageln oder zu irgendetwas zwingen lassen. Vielleicht wollte er mir eine Lektion erteilen, indem er mich hier als
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