Der Geliebte
schließt sich hinter mir. Ich bleibe stehen.
In der Mitte des Raums ein Tisch. Daran sitzen zwei Männer, deren Blicke auf mich gerichtet sind. Sie tragen weiße Hemden mit Schlips. Keine Uniformen. Der eine hat dunkle Haare, feine Gesichtszüge und braune Augen, die für sein Gesicht ein bisschen klein wirken. Der andere, rechts von ihm, ist etwas älter, um die sechzig, schätze ich. Graues Haar, pockennarbige Haut. Er hat Ringe unter den Augen, aber das Blau seiner Iris ist klar und scharf.
Auf dem Tisch steht ein Tonbandgerät, und es liegen ein paar Papiere herum, Formulare oder so was, ich kann es nicht richtig sehen.
Der ältere der beiden nickt mir zu. » Bonjour, madame Jansen. «
» Bonjour «, antworte ich. Meine Stimme klingt vor Nervosität ganz heiser. Jetzt wird mir auch wieder flau im Magen.
»Setzen Sie sich«, sagt der Mann mit den blauen Augen. Er hat einen flämischen Akzent, bei dem es mir kalt den Rücken herunterläuft. Er erinnert mich an Peter.
Ich setze mich auf den leeren Stuhl ihm gegenüber. Beiße mir auf die Lippe.
Sie verschlingen mich mit Blicken, als hätten sie stundenlang dicke Akten studiert und säßen nun endlich ihrem Studienobjekt von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ich komme mir nackt vor.
»Wir haben ein paar Fragen an Sie, Frau Jansen«, sagt der Flame. »Aber bitte erlauben Sie, dass wir uns erst vorstellen. Der Herr an meiner Seite hier ist Philippe Guichard, der in diesem Departement für Mordangelegenheiten zuständig ist. Er leitet die Ermittlungen wie auch dieses Gespräch. Ich werde als Dolmetscher hinzugezogen, weil Sie Niederländerin sind. Mein Name ist Leo van Goethem. Wir werden Ihnen einige Fragen stellen. Sie können auf Niederländisch oder Französisch antworten, wie Sie möchten. Alles, was hier gesagt wird, wird mit diesem Tonbandgerät festgehalten.« Er legt die Hand auf das Gerät und schaut mich eindringlich an. »Haben Sie das verstanden?«
Ich nicke.
»Schön. Ich muss Sie noch darauf hinweisen, dass Sie nicht verpflichtet sind zu antworten. Wenn Sie eine Antwort geben, tun Sie das freiwillig. Verstehen Sie mich?«
»Ja«, fiepse ich.
»Gut. Dann fangen wir an.«
32
»Och, Mami, bitte, nur noch eins.«
»Nein, Isabelle, du musst jetzt wirklich schlafen. Es ist schon neun, morgen musst du wieder zur Schule.«
Isabelle sperrte ihre lieben, blauen Augen auf, so weit sie konnte. Sie wusste genau, wie sie mich rumkriegen konnte. »Och … bitte!«
»Na gut, ein einziges noch.« Mein Widerstand war gebrochen. Das Schuldgefühl hatte die Oberhand gewonnen. Wenn es schon keine Geschenke gab, mussten eben Märchen herhalten, so lange, bis Isabelle eingeschlafen war und ich unbemerkt aus dem Zimmer schleichen konnte.
»Aber dann will ich auch wirklich keinen Ton mehr von dir hören. Versprichst du mir das?«
Sie nickte und gab ihre Bestellung auf: »Das von dem kleinen Entlein.«
Ich setzte mich auf dem Bettrand noch einmal bequem zurecht und schlug das Märchenbuch wieder auf. Von der kleinen Lampe fiel sanftes Licht auf die glänzenden Seiten. Ich hatte diese Geschichte schon so oft vorgelesen, dass ich sie beinahe auswendig konnte. Während ich von einem kleinen Entlein erzählte, das von den anderen kleinen Enten schrecklich gehänselt wurde, weil es so graue Daunenfedern hatte, schweiften meine Gedanken ab.
Es war schon wieder Sonntag. Die Woche war wie im Flug vergangen.
Am liebsten hätte ich den Kopf in den Sand gesteckt, einfach alles ausgeblendet, was um mich herum passierte.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Aber das ging nicht.
Letzten Montag hatte Peter das Schweigegeld entgegengenommen. Ganz und gar stilecht, nämlich schweigend und diskret außer Sichtweite fremder Blicke. Listig grinsend hatte er es sich in die Hosentasche gesteckt.
Danach war ich vollends niedergeschlagen gewesen. Im Stillen hatte ich noch ein Fünkchen Hoffnung gehabt, dass das alles bloß ein Witz war, wenn auch ein kranker Witz. Aber dieser Funke war in dem Augenblick, als er das Geld angenommen hatte, ein für alle Mal erloschen.
Mit geschlossenen Augen hatte ich mich an der Spüle festgehalten, während seine Schritte sich langsam entfernten. Von ganzem Herzen hatte ich ihm gewünscht, er möge in atemberaubendem Tempo in eine tiefe Schlucht hineinrasen oder mit seinem protzigen Geländewagen gegen einen Felsen knallen. Ein einziger kurzer, fataler Augenblick der Unaufmerksamkeit.
Dann war ich nach draußen gegangen, zu dem
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