Der Geliebte
mittlerweile alles egal. Sein Versuch, mich zu beruhigen, war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Eric bekam jetzt alles ab, was sich aufgestaut hatte.
Er umklammerte meine Handgelenke. Störrisch riss ich mich los.
»Psst, du weckst Isabelle auf.«
»Dann wacht sie eben auf! Das ist mir total egal! Du betrachtest verdammt noch mal alles nur als Projekt! Unsere Freunde, unser Haus, unsere Ehe, alles!«
Eric war die Besorgtheit in Person. Er zog mich an sich und fuhr mir schnell und nervös durchs Haar. »He, he, he, ruhig, ganz ruhig, Simone, Liebes. So geht das nicht. Beruhige dich doch. Ich sehe dich nicht als Projekt. Wie kommst du denn darauf? Ich liebe dich.«
»So, du liebst mich? Und worin äußert sich das? Den ganzen Tag bist du nur mit dem Haus beschäftigt, dieses Scheißhaus ist das Einzige, was für dich zählt. Wir hängen da nur als Ballast mit dran. Dass wir hier langsam eingehen, kümmert dich überhaupt nicht, du schleppst deine ganze Familie mit auf diese Baustelle im Niemandsland, und wie wir uns dabei fühlen, interessiert dich einen Scheißdreck. Wenn du …«
»Ich will dieses Haus für uns bauen, Simone. Für dich, für Isabelle, für Bastian. Das ist es, was ich will, Simone, und ich will möglichst schnell damit fertig werden, ich bin es nämlich auch mehr als leid, das kannst du mir glauben. Genau wie du. Den Staub, das Chaos, den Lärm, ich habe ständig Splitter in den Händen, fühle mich jeden Abend wie gerädert. Ich bin das auch alles nicht gewöhnt, aber ich arbeite trotzdem mit, denn je schneller wir fertig sind, desto eher können wir anfangen, uns ein normales Leben aufzubauen. Ein besseres Leben.«
Meine Stimme ging eine Oktave in den Keller. »Und was … wenn es demnächst … keine Familie mehr gibt, die in dem Haus noch wohnen könnte? Für Peter und die Jungs hast du alle Zeit der Welt. Mit denen besprichst du immer alles, dir geht es nur noch um die Sanierung. Du bist nie erreichbar, für mich nicht und für Isabelle und Bastian auch nicht. Nie.«
Halb verwundert, halb besorgt sah er mich an. »Nie erreichbar für euch? Mein Gott, Simone …«
»Du hast …«
Er erstickte meine Worte, indem er mich mit einem warmen Kuss überfiel. Intensiv und liebevoll, begleitet vom sanften Streicheln seiner Fingerspitzen an meinem Hals.
Als unsere Lippen sich voneinander lösten, sah ich in seine Augen, sah seine Sorge und seine überwältigende Liebe darin. Es war dieser Blick, in den ich mich vor so vielen Jahren verliebt hatte. Damit hatte Eric mir den Kopf verdreht, als wir noch jung und unbesorgt waren, er noch nicht von seiner Arbeit und seinem vollen Terminkalender und ich noch nicht von der Erziehung der Kinder in Beschlag genommen. Lange bevor unser beider Leben sich auf unerklärliche Weise, ohne Vorwarnung und von einem Tag auf den nächsten voneinander gelöst hatten, um fortan parallel zu verlaufen, vor sich hin zu plätschern, ohne sich noch nennenswert zu berühren.
»Ich liebe dich«, sagte er, ganz leise. »Du bist mein lieber Schatz, immer gewesen. Du und die Kinder, ihr seid das Allerwichtigste in meinem Leben. Das Aller-Allerwichtigste. Peter und die Jungs können mir doch gestohlen bleiben.« Kurz geriet er ins Stocken. »Und … wenn es wirklich so schlimm ist, wenn du dich hier wirklich partout nicht eingewöhnen kannst, dann gehen wir zurück. Keine Frage. Dann verkaufen wir den ganzen Laden und gehen einfach wieder zurück.«
Durch einen Schleier von Tränen sah ich ihn an. Hatte ich mich gerade verhört? »Meinst du das ernst?«
»Ja, das meine ich ernst.«
Eric fing an, mich auszuziehen. Ganz vorsichtig, als wäre ich eine zerbrechliche Puppe, die jeden Moment in tausend Einzelteile auseinanderfallen konnte. Er legte meine Kleider auf den Korbstuhl neben der Wanne. Küsste jedes neu entblößte Stück Haut und murmelte: »Ich liebe dich, mein Schatz, ich liebe dich über alles.«
Mein Zorn verebbte.
Schnell entledigte auch er sich seiner Kleidung und nahm mich bei der Hand. Wie eine Blinde führte er mich zur Wanne, und ich ließ mich führen. Als ich einen Fuß ins warme Wasser stellte, kitzelte es an der kalten Haut. Er ließ sich mir gegenüber in die Wanne gleiten, nahm einen Schwamm von der Ablage und fing an, mich einzuseifen, liebevoll, mit kreisenden Bewegungen. »Das war mir nicht so klar. Dass du dich vernachlässigt fühlst, meine ich. Ich dachte immer, du wüsstest, dass ich, genau wie du, mein Bestes
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