Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
griffbereit ein Telefon an der Wand. Wir hatten zusätzlich jeder ein eigenes Ankleidezimmer, und die Räume waren mit großen, schweren Teppichen und all dem pompösen Schnickschnack, der den Reiz dieses Hotels ausmachte, ausgestattet.
Mit Grauen dachte ich an das Dorfhotel Willaschek an der Durchgangsstraße zurück. Und an die grünliche, gepanzerte Stubenfliege. Ich musste nie mehr durch einen muffigen Hotelflur zu Emils abgelegenem Kämmerchen schleichen, in dem der Babykram und Emils Hab und Gut durcheinanderflogen, ich musste nie mehr nachts mit Steinchen an sein Fenster werfen, ich musste nie mehr meine Morgengymnastik auf der Bettdecke auf einem schmuddeligen Fußboden machen und dabei die Abgase der Lastwagen vor meinem Fenster riechen. Hier gab es einen großen, hellen Fitnessraum, in den nichts drang als leise klassische Musik. Und natürlich war da ein Schwimmbad mit Sauna.
Emil genoss das alles mit der kindlichen Lebensfreude eines großen, übermütigen Jungen. Er versorgte das Paulinchen mit Liebe und Zärtlichkeit, und er nahm es überall mit hin: ins Schwimmbad, in den Englischen Garten, in den Fitnessraum, wo er geschickt an den Geräten herumhangelte. Paulinchen saß währenddessen in ihrem Wagen und schaute ihm mit großen, runden Augen zu. Ich schaute ihm auch manchmal mit großen, runden Augen zu. O ja, geschmacklich kam mein Töchterchen ganz auf mich.
Ich fing an, unsere Aufenthalte in München richtig zu genießen. Morgens frühstückten wir gemeinsam im großen, hellen Frühstücksraum mit Blick auf die Frauenkirche. Um uns herum saßen Dutzende von eiligen Geschäftsmännern, die alle die »Times« oder die »Süddeutsche« lasen und die gehetzten Blickes auf die Uhr sahen. Wir hatten dagegen morgens Zeit. Ich hatte immer schon eine Stunde Gymnastik gemacht, war tausend Meter geschwommen und hatte anschließend eiskalt geduscht. Danach war mir nicht nach einem opulenten Frühstück. Emil stand bisweilen zehn Minuten an dem reichhaltigen Büfett und konnte sich nicht entscheiden, was er sich auf den Teller laden sollte. Ich fütterte unterdessen unser kleines Entenkind Pauline, das inzwischen für alles das Schnäbelchen aufsperrte, was wir ihm ins zahnlose Mündchen steckten.
Ein Häppchen Rührei und ein Brosamen Toast und ein Bröckchen Lachs und ein frisches Stückchen Obst …
Ja, es ging unserem kleinen Mädchen nicht schlecht. Wenn Emil mit ihr Grimassen schnitt, dann lachte sie laut und fett. Aber die Geschäftsmänner schenkten uns keinen Blick. Sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Um zehn holte uns dann die Praktikantin Melanie ab. Eigentlich hätte der Fahrer uns auch allein abholen können, aber Melanie musste halt irgendwas zu tun haben. Wahrscheinlich langweilte sich das Mädel immens, und mein armer Emil sollte sich auch nicht länger in seiner Zelle langweilen. Gleich am zweiten Tag bot ich den Beiden an, sich lieber einen netten Vormittag in der Münchner Innenstadt zu machen, als mich in das trübe, öde Industriegebiet zu begleiten, wo die Aufnahmen stattfanden.
»Bei dem Stadtverkehr nehme ich ohnehin lieber die S-Bahn«, sagte ich. »Und ihr sitzt doch nur stundenlang im Studio rum und langweilt euch. Es ist ja immer dasselbe.«
Und dann vertrauten wir Melanie unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, dass ich Paulinchen gar nicht mehr stillte. Und dass es eigentlich nicht nötig war, dass sie und Emil immer noch dabei waren.
»Aber ich hab sie halt gern in meiner Nähe«, sagte ich. »Verpetz uns nicht, dann verpetzen wir dich auch nicht.«
Und so fuhr ich mit der S-Bahn zum »Wört-Flört«-Studio. Es machte mir nichts aus. Im Gegenteil. Ich wusste, dass es Paulinchen im Bayrischen Hof viel besser ging als in der schmucklosen Garderobe auf dem Gelände des Fernsehens. Sie hatte dort ihr eigenes Bettchen und ihre Wickelkommode und ihre Badewanne. Emil konnte mit ihr spazieren gehen oder mit ihr im Whirlpool planschen oder durch München bummeln. Ich gönnte es ihm von Herzen. Später konnte Melanie die Beiden immer noch ins Studio fahren lassen. Der Fahrer stand vor dem Bayrischen Hof und rauchte unterdessen ein paar Zigarettchen.
Hauptsache, sie kamen abends zu den Aufzeichnungen. Das war mir wichtig, dass Emil und mein Töchterchen dann in meiner Nähe waren.
So spielte sich alles ein. Und alles wurde angenehmer.
Selbst Herr Bönninghausen schüttelte nicht mehr so oft den Kopf. Und seine gelben Giraffen und roten Dinosaurier lächelten
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