Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Schluss verwies sie uns auf die feuchtwarme Leibauflage oder den Vier-Winde-Tee von Dr. Drießnitz bei auftretenden üblen Gasen, die abgingen. Wir wollten jetzt nichts mehr davon hören, sondern hatten das starke Bedürfnis, mit unseren vier Winden und dem Heublumensack allein zu sein. Es herrschte Aufbruchstimmung.
Der livrierte Kellner kam und räumte die angebissenen Äpfel ab. »War’s recht?«, fragte er übereifrig wie Silvia.
Die Leute um uns rum, die gerade zu Mittag tafelten, beobachteten gerührt, wie wir In-uns-Geher und An-unsere-Grenzen-Stoßer uns gegenseitig um den Hals fielen und an der Brust des anderen Freudentränen verspritzten. Emil grinste, während er den Kindern die Spaghetti kleinschnitt. Die Kinder winkten mit ketchupverschmierten Mündern. Ich kniepte ihnen ein Äugsken.
»Moment noch, Herrschaften«, rief Annegret in die aufbrechende Menge. »Und notfalls bitte das Klistier, habt ihr gehört, Leute, dass ihr mir nicht wieder ungeduldig rumdrückt! Zeit und Gelassenheit bei jedem Stuhlgang!«
Der Kellner umrundete sie geflissentlich. Die Leute an den Nebentischen stocherten in ihrem Essen herum. Sie lauschten interessiert Annegrets Ratschlägen.
Wir hörten nicht auf, einander weinend und grenzbereichert um den Hals zu fallen. »Denk mal an mich« und »Schreib mal« und »Lass mal eine Rosine eine Stunde lang im Munde zergehen, das ist besser als Orgasmus!« und »Nächstes Jahr wieder hier!«
Annegret schrie ungerührt dazwischen: »Auch jahrelange Stuhlverstopfung berechtigt nicht zu vorzeitiger Aufgabe unserer gelernten Bemühungen! Schlackenreiche Nahrung nehmt ihr, intensiv gekaut, ab jetzt zu euch! Wenn ihr spürt, dass der Darm sich bewegt, der After sich aber nicht öffnen will … Herrschaften, bitte noch mal zuhören jetzt, das ist wichtig!«
Der Kellner entschuldigte sich und hörte mit dem Apfelkitschaufräumen auf. Die Leute an den Nebentischen hörten mit dem Kauen auf. Wir setzten uns schuldbewusst wieder hin, um mitzuschreiben. Der Kellner nahm Haltung an und wartete.
»Also, Herrschaften«, rief Annegret mit erhobener Stimme. »Der Enddarm ist noch vom Fastenstuhl verstopft. Den gesamten Magen-Darm-Kanal nicht stören und keine Abführmittel nehmen! Es reicht ein Klistierball! Ja?!«
»Jaja«, murmelten wir. »Klistierball. Klaro, ey.«
»Was denn sonst«, murrte einer der abgehärteten Opas.
»Prägt euch einige Grundsätze ein: morgens nüchtern ein Glas warmes Wasser auf den nervösen Darm, auf den faulen Darm kaltes!«
»Kaltes«, murmelte die dicke Zwillingsschwester. Wahrscheinlich war ihr Darm faul, während der ihrer Schwester nervös war.
»Kümmel-Tee oder Vier-Winde-Tee! Abführen mit natürlichen Mitteln! Klistier, Einlauf, Glyzerinzäpfchen.«
»Jaja«, murmelten die Seminarteilnehmer.
»Frischkornsuppe, Sauerkrautsaft oder Molke, Backpflaume, Weizenschrotsuppe, Getreide-Gemüse-Suppe, Dickmilch mit Leinsamen, Sauerkrautsuppe mit Gerstenschleim … all das löst einen befreienden und lockeren Stuhlgang aus! Klar?«
»Klar.«
»Gehet hin in Frieden«, sagte Annegret.
»Dank sei Gott, dem Herrn«, murmelten wir. Dann durften wir endlich gehen.
Bei »Wört-Flört« gab es Neuigkeiten: Oda-Gesine hatte die Kulisse geändert! Statt der üblichen rot-blauen Hocker, auf denen die Kandidaten und Picker immer gehockt hatten, gab es jetzt Hocker in Rosa und Hellblö! Donnerlüttchen, dass sie darauf gekommen war! Auch die Wand im Hintergrund war nicht mehr so schrill wie vorher. Alles gedeckte Töne, mehr so in Pastellfarben gehalten.
»Dem Alter unserer Moderatorin angemessen«, erklärte Oda-Gesine stolz. »Das wird die Einschaltquoten enorm steigern!«
»Bestimmt!«, sagte ich.
Und für die Rosen, die immer überreicht wurden, hatte sich Oda-Gesine etwas Sensationelles ausgedacht: Sie waren nicht mehr alle drei rot wie bisher, sondern die Zwei, die für die nicht gewählten Kandidaten gedacht waren, waren altrosa! Nur die für die richtige Braut war nach wie vor rot.
»Das verleiht der Sache ganz neuen Pep«, freute sich Oda- Gesine.
»Donnerwetter«, sagte ich anerkennend. »Das sind ja richtig intellektuelle Anforderungen an den Zuschauer!«
Silvia war jetzt noch wichtiger als vorher. Sie trug ja nun auch noch die Verantwortung dafür, dass niemand die altrosa und roten Rosen durcheinanderbrachte! Rolf und Maik, meine treuen redaktionellen Berater, hatten fleißig gearbeitet in der Zwischenzeit. Sie hatten schon gezielte Fragen für mich
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