Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Paulinchen schon schlief.
Ich wählte. Es tutete lange. Dann sprang die Mailbox an. Wo war der Kerl? Bestimmt schlief er schon. Er hatte doch so ein kindliches Schlafbedürfnis. Bestimmt lagen er und Paulinchen schon lange im Bett.
Und Melanie war bei ihrer Mama.
Dass die Mama überhaupt erlaubte, dass Melanie als Praktikantin bei einer so turbulenten Sendung arbeitete! Melanies Mama war ein bisschen naiv. Von mir zu verlangen, dass ich die Verantwortung für Melanie übernahm. Ich hatte die Verantwortung für meine eigene Tochter. Und das war schon schlimm genug. Mich quälte das schlechte Gewissen. Ich ließ sie einfach in München für drei Tage allein. Mit einem offensichtlich unreifen Würstchen von sprunghaftem, wankelmütigem Babysitter. Der einem Spaghettiträgerhemdchen verfiel.
Quatsch, Karla. Emil ist ein guter, eingearbeiteter Babysitter. Seit zehn Monaten kennt er Paulinchen. Er schleppt sie Tag und Nacht mit sich herum. Er ist mit ihr verwachsen! Er hat noch nie einen falschen Handgriff gemacht. Er hat sie noch nie schreien lassen. Sie liebt ihn wie die Graugans den Lorenz. Er behandelt sie wie sein eigenes Kind. Und das mit Melanie ist doch pure Einbildung. Vielleicht ist er ihr gar nicht verfallen. Er ist nur gelegenheitshalber manchmal mit ihr zusammen. Sie ist die Praktikantin. Sie hat viel Zeit übrig.
Praktikantin! Ich konnte das Wort nicht mehr hören.
Es war so ein unheilvolles, unanständiges und weltpolitisch geprägtes Wort!
Die Maskenbildnerin hatte irgendetwas mit meinen Haaren gemacht. Ich beschloss, als Erstes in die Damentoilette zu gehen und etwas anderes damit zu machen. Irgendwas. Hauptsache etwas anderes. Aber es war eh egal. Mich würde heute niemand mehr sehen. Dieser Jo war bestimmt schon lange weg. Und mein Geburtstag war in wenigen Minuten vorbei.
Alles egal. Übermorgen würde ich nach Nürnberg fliegen, zu diesem Fettverbrennungs-Guru, und am Sonntag würde unser Alltag wieder so sein wie früher. Ohne Melanie.
»Gehen wir noch auf ein Glaserl irgendwohin, Hansi?«
»Ja klar, gerne, wenn ich endlich dieses Zeug von den Augen habe …«
»Ich warte solange draußen«, sagte ich, indem ich nach meiner Tasche griff. »Lass dir Zeit.«
Draußen prallte ich zurück. Da stand dieser Jo. Mit einem riesigen Strauß roter Rosen. Sie waren nicht etwa altrosa. Sie waren rot. Ich starrte ihn an.
»Du wartest doch nicht etwa auf mich?«
»Doch«, sagte Jo. »Määinst du, ich warte auf den dicken Keal im Diandlklääid?«
Zwei traumhafte Tage im vorfrühlingshaften Wien. Mit Jo, dem galanten Charmeur. Oda-Gesine hatte es für besser gehalten, dass ich mir nicht, wie sie sagte, den Stress antat und noch einmal von Wien nach München oder gar nach Köln flog, nur um am nächsten Tag wieder nach Nürnberg aufzubrechen. Die Verbindungen seien so schlecht, sagte sie, ich hätte über Frankfurt fliegen müssen und lange Aufenthalt am Flughafen gehabt. »Genieß einfach Wien«, hatte sie gesagt. »Und schalt mal einen Tag ab. Endlich mal ohne dein Baby und ohne deinen … Boy, du schleppst ja immer eine ganze Karawane mit dir rum. Geh mal bummeln, und lass die Seele baumeln! Vielleicht triffst du ja sogar nette Gesellschaft. Die Wiener sind besonders charmant!«
Und: Recht hatte sie gehabt! Ach, Oda-Gesine! Immer meinte sie es so gut mit mir. Ich tauchte ein in diese wunderbare, festliche Stadt, die wahrscheinlich zu jeder Jahreszeit eine Schönheit und Ruhe ausstrahlt wie kaum eine Andere. Jo und ich, wir sprachen über viele Dinge, die nichts mit Einschaltquoten und Marktanteilen zu tun hatten, wir schlenderten durch Museen und Kirchen, wir wanderten strammen Schrittes, die Hände in den Manteltaschen vergraben, durch den Prater. Im Riesenrad stand ich versonnen und blickte auf die kahlen Zweige der Bäume, die sich wie händeringend in den grauen Märzhimmel reckten. Der Frühling stand vor der Tür, die lauen Tage, die immer länger wurden, die milden Abende, an denen unermüdlich Amseln sangen, die Abende, an denen meine Jungs mit dem Fußball gegen das Garagentor droschen, an denen ich mit den Kleinen auf dem Sandkastenrand sitzen würde und einfach nur glücklich sein …
»Woran denkst du?«, fragte Jo.
»Och, an alles mögliche. Es ist schön, mal Abstand zu gewinnen.« Da hatte Oda-Gesine recht gehabt. Sie wusste anscheinend immer besser als ich selbst, was für mich gut war.
»Sag mal, bist du eigentlich nicht … verheiratet?«, fragte ich Jo geradeheraus.
»Mir
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