Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
erste Mal geliebt hatten, erzählte, wie wunderbar Emil mit den Kindern umging, und gestand meine lächerliche, dumme Eifersucht, das schreckliche Gefühl, plötzlich alt zu sein, die Angst, nicht mehr begehrt zu werden …
»Aber wie kannst du so etwas sagen!«, unterbrach mich Jo. »Du wääißt doch, dass ich dich begehre!«
»Ach ja, wirklich?« Ich war richtig ein bisschen stolz. Welche Mutti um die Vierzig hat das denn, ein heißes Verhältnis mit einem knackigen Lustknaben, hä? Und dann noch unter freiem Himmel? Wer traut sich denn so was, hm? Käine! Nur Karla Stäin! Prost!
»Dann wird er spätestens bäim Vergläich mit dem jungen Hascherl den Qualitäätsverlust merken«, sagte Jo.
»Wird er auch«, sagte ich zufrieden.
Täuschte ich mich, oder glomm ein kleines Fünkchen Zufriedenheit in Jos schönem Antlitz? Ob ich Emil mit diesem Jo betrügen sollte? Es wäre ääin lääichtes. Wir würden in mein Sechssternehotel gehen, Champagner trinken und auf sehr stilvolle Weise meinen Vierzigsten nachfeiern. Ich sollte es tun. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Ich sah den schönen Jo an. In seinem gepflegten Mohairpulli mit irgendeinem Markenzeichen von einem teuren Designer, mit seinem Halstuch im Hemdkragen.
Er schaute mir tief in die Augen.
Ich sah plötzlich Emil vor mir, mit seinem ewig gleichen schlabberigen Sweatshirt von einer inzwischen undefinierbaren Farbe, mit seiner Baseballkappe, seinen verwaschenen Jeans und seinen löchrigen Turnschuhen.
Plötzlich wollte ich allein sein.
Ich wusste, ich hatte zuviel gequatscht.
Auf einmal merkte ich, wie wertvoll mir meine Zeit war. Ich hatte das unstillbare Verlangen nach dem Wertvollsten, was ich hatte: meine eigene Zeit. Zeit, die ich mit niemandem teilen wollte, der mir nichts bedeutete. Mit Emil war das etwas anderes: Der gehörte zu mir – nein, nicht wie mein Name an der Tür. Ich hab gar keinen Namen an der Tür. Emil gehörte zu mir wie einer, der zur Familie gehört. Einer, den es immer schon gegeben hat. Einer, ohne den ich mich leer und einsam fühlte. Einer, nach dem ich mich immer umdrehte, obwohl er gar nicht da war. Wie oft ertappte ich mich dabei, dass ich ihm etwas erklären oder zeigen wollte, ihn auf etwas aufmerksam machen, ihm etwas mitteilen. Aber er war nicht da. Und mit Jo klappte das einfach nicht. Wir waren nicht eingespielt. Und ich hatte auch keine Lust, mich auf ihn einzuspielen.
Warum auch. Ich würde ihn nie Wiedersehen. Es war nett mit ihm, er hatte mir Wien gezeigt und mich ein bisschen verwöhnt und mir zugehört. Mehr, als mir lieb war. Aber nun wollte ich meine Gedanken mit niemandem mehr teilen. Den Luxus erlaubte ich mir, meine Zeit lieber mit mir selbst zu verbringen.
In der Hotelhalle fragte ich den Portier, was es heute Abend in der Oper gebe.
»›Rosenkavalier‹, gnädige Frau.«
Genau das wollte ich heute Abend erleben. Meine ausgedörrte Seele und mein von Fast food verklebter Geist schrien danach. Komme, was da wolle, ich musste da rein. Und zwar allein. Ohne einen mich süßlich umschlääimenden Jo. Mit Emil war ich so oft in der Oper gewesen … Ob er wohl jemals mit Melanie in die Oper gehen würde?
»Können Sie mir noch eine Karte besorgen?«
»Ich fürchte, nään, gnädige Frau. Die Vorstellung ist säät Woochn aausverkaauft.«
In mir erwachte ein Ehrgeiz, der mit meiner Lethargie und meinem Selbstmitleid von vorhin nichts mehr zu tun hatte. Wenn ich schon mal durch eine Fügung, das heißt Verfügung von Oda-Gesine, in Wien war, wo ich einmal im Leben ein paar Stunden Zeit für mich hatte, dann wollte ich vier Stunden davon mit Richard Strauss verbringen. Um jeden Preis.
Ich beschloss, es durch den Künstlereingang zu versuchen. Schließlich war ich in meinem früheren Leben mit Paul schon durch Hunderte von Künstlereingängen gegangen. Und ich wusste eins: Wenn man durch einen Künstlereingang geht, muss man das mit hoch erhobenem Haupt tun. Also weder zaudern noch zögern, noch schüchtern um sich blicken, noch dem Auge des wichtigen Kontrolettis auch nur eine Zehntelsekunde ausweichen. Wie oft hatte man Paul nach seinem Dienstausweis gefragt! Dann hatte er nur mitleidig gelächelt und gesagt: »Ich bin Paul Stein!« Und dann hatten die Kontrolettis sich entschuldigend an die Mütze getippt und ihn reingelassen. Mich natürlich auch.
Ich bin Karla Stein, dachte ich ganz fest. Und ich komme hier rein.
»Gnädige Fraau, hier können’s bittschön nicht hinääin.«
Aha. Erste
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