Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
ist die Richtige noch nicht begegnet.« Intensiver Blick aus dunkelbraunen Augen. Meinte der mich, oder was sollte das bedeuten? Also wirklich. Seit Jahren hatte mir keiner mehr Avancen gemacht. Von der Sache mit Emil einmal abgesehen. Aber das waren ja keine Avancen. Das war eine … völlig unangemessene … Affäre. Und sie würde spätestens im Sommer beendet sein. Wenn Emil wieder ging.
»Sag mal, du … Wiener. Warum hast du soviel Zeit? Musst du nicht arbeiten?«
»Für eine Frau wie dich nehme ich mir äänfach Zäät.«
Aha. Wieder keine Info. Na, egal. Es war angenehm mit ihm. Er war nicht aufdringlich. Er war einfach nur da.
Jo war ein Kavalier durch und durch, kam mir nie zu nahe. Sein Interesse an mir schien echt zu sein. Er rechnete nicht mit einer schnellen Nummer. Er hatte anscheinend nur Freude daran, mir seine wundervolle Stadt zu zeigen. Ich fühlte mich wohl mit ihm.
Ob ich doch noch schnell nach München fliegen sollte? Immerhin gab es nachmittags noch einen Direktflug.
Ich könnte theoretisch um sieben Uhr abends in München sein. Und Emil überraschen. Mit Melanie? In MEINER Suite? Nein. Ich hatte Angst, sie in wilder Leidenschaft ineinander verkeilt und lustvoll stöhnend auf meinem Bett vorzufinden. Und wenn sie nur mit Chips und Cola vor dem Fernseher saßen: Ich konnte den Anblick nicht ertragen!
Was wohl Emil jetzt im Moment mit Paulinchen unternahm? Vielleicht stiefelten sie gerade durch den Englischen Garten, so wie wir durch den Prater schlenderten. Ob es dort auch schon vereinzelt Schneeglöckchen gab? Ich zwang mich, es noch einmal per Handy zu versuchen. Er würde sich doch nicht kontrolliert fühlen? Ich rief doch nicht als eifersüchtige Alte an. Sondern als Mutter meines Kindes.
»Wen rufst du an?«
»Meinen Babysitter.« Ich hatte Herzklopfen, als ich wählte.
»Ach, den lääidigen Buaschn vom Paarkplatz? Über den hast du dich wohl geäagat?«
»Nein, nein. Nicht wirklich.«
»Ist er nicht zu juung … für so an Poostn?«
»Quatsch. Nein. Wie kommst du darauf?«
»Dass du diesem Grüünschnaabl dään Kiiend anvertraaust!« Jo stieß mit dem Fuß verächtlich in den letzten Schnee.
Es tutete lange. Nichts. Kein Emil. Irgendwann sprang die Mailbox an. Meine eigene Stimme. »Gu-ten Taag. Wenn Sie aus beruflichen Gründen anrufen, so senden Sie bitte ein Fax.« Ich konnte sie nicht mehr hören.
»Hallo, ich bin’s«, sagte ich schwach. »Melde dich doch mal! Ich bin in Wien, mir geht es gut, aber ich möchte auch wissen, wie es Paulinchen geht!«
Und ob Melanie bei dir ist, dachte ich. Das möchte ich auch noch wissen. Und wieso du verdammter Lümmel nicht an das Handy gehst. Wie komm ich mir eigentlich vor? Wie ein blödes Frauchen, das, winsel, winsel, den Geliebten anfleht, sich doch mal ihrer zu erbarmen, wenigstens für ein kurzes Grüß Gott. Das war so unter meiner Würde, das hatte ich noch nie getan! Nie! Und bei Senta mochte ich auch nicht anrufen. Senta und ich, wir waren verkracht.
Ich fühlte mich hundsmiserabel. Kreidebleich starrte ich das Handy an. Dann starrte ich Jo an.
Jo legte den Arm um mich. »Wääßt du waas? Jetzt gehen wir ääne Melange trinken, und danach zäge ich dir Wien bä Nacht.«
Melange klang nach Melanie. Aber ich wollte keine Spielverderberin sein. Außerdem war Jo ja so schrecklich nett.
Über Wien lag bereits die Dämmerung, als wir das Café Central betraten. Jo schob einen schweren weinroten Vorhang beiseite und ließ mich zuerst eintreten. Er dirigierte mich in eines der ruhigen Seitenzimmer. Ich ließ mich auf einen freien Stuhl fallen. Jo entsorgte meinen Mantel. Hier war es gemütlich. Die anderen Gestalten, die sich hierher verkrochen hatten, schienen das Gleiche zu suchen wie ich. Sie flohen vor den Menschen. Sie flohen vor sich selbst. Sie suchten nach ihrer Zeit, obwohl sie sie verspielten.
Am Nebentisch saß ein dicker alter Mann wie ein aufgeplusterter Vogel, tiefbekümmert, zusammengekauert vor seiner ausgetrunkenen Melange, starrte in seine Zeitung und drehte aller Welt den Rücken zu, so als demonstriere er trotzige Einsamkeit. Jo warf ihm einen kurzen Blick zu, dann kam er lächelnd an den Tisch. Er blies sich in die kalten Hände und rieb sie sich warm.
»Kann ich dich niiecht für ääine Melange erwääichen?«
»Ach, Jo«, sagte ich. »Du bist so gut zu mir.«
Mir lief die Nase, ich fummelte nach einem Papiertaschentuch, doch Jo war schneller. Er reichte mir ein blütenweißes, frisch
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