Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
jemand schubste mich ins bessere Licht, dann prasselten Fragen auf mich ein, und dann sah man den Monitor. Jetzt lief der Film ab.
O Gott.
»Ich habe noch nie Schnee gesehen«, sagte Emil.
»Das ist ja Emil!«, stammelte Senta entsetzt. »Wo habt ihr denn das gedreht?«
»Das hat jemand heimlich gedreht!«, sagte ich tonlos.
»Hast du. Auf dem Jungfraujoch.«
»Das war der ewige Schnee«, erwiderte Emil. »Aber ich habe noch nie gesehen, wie es schneit. Ich wusste nicht, dass Schneeflocken so langsam fallen.«
»Und ich wusste nicht, dass gefallene Mädchen so schnell fallen«, brummelte Senta, indem sie die Jungen energisch am Schlafittchen packte und' aus dem Wohnzimmer schubste. »Geht auf die Straße spielen!«
Jetzt war alles zu Ende. Jetzt sah es die ganze Welt.
Jetzt konnte ich einpacken. Für immer. Und mein Kind war weg. Ich bin zu Ende mit allen Träumen.
Gerade als ich kraftlos auf die Sessellehne sank, klingelte das Telefon.
»Wo bist du, Menschenskind?«
»Im Albergo Losone!«
»Ist Paulinchen bei dir?«
»Jou.«
»WAAS?! Paulinchen ist bei Emil im Albergo Losone«, schrie ich Senta unter Tränen zu. Sie fiel mir weinend um den Hals.
»Natürlich. Wo soll sie denn sonst sein? Warum bist du so sauer?« »Ich bin nicht sauer, ICH BIN VERZWEIFELT!!!«
»Warum? Ich bin im Albergo Losone und warte auf dich. Aber du kommst nicht. Was ist passiert?«
»WAS PASSIERT IST?«, brüllte ich völlig hysterisch in den Hörer. »Paulinchen ist entführt worden! Von DIR! Und du forderst zehn Millionen Mark Lösegeld! DAS ist passiert!«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte Emil im typisch breiten Tonfall von Karl und Oskar: »Hahaha. Sehr witzig.«
Ich war fassungslos. »Seit wann bist du im Albergo Losone?«
»Seit letzten Freitag.«
»Und was MACHST DU DA? FASTEN?«
»No, Mam. Warten. Oda-Gesine hat gesagt, du kommst hierher, um ein Seminar zu machen.«
»Sie hat mich aber nach Nürnberg geschickt.«
»Das verstehe ich nicht.«
Ich raufte mir ratlos und glücklich und erleichtert die Haare. »Ist Melanie bei dir?«
»Jou.«
Ich konnte unmöglich fragen: »Und, Kinder? Amüsiert ihr euch?« Stattdessen sagte ich: »Ich hole euch ab. Rührt euch nicht von der Stelle.«
Zum Schlafen war ich viel zu aufgeregt.
»Senta«, sagte ich. »Geh nicht ans Telefon, lass keinen rein, sag keinem was, die sollen ihre Entführungsstory haben. Ich fahre die Nacht durch.«
Ich küsste die Kinder hektisch zum Abschied und brauste los.
Im Auto hörte ich alle unsere Schumann-, Schubert- und Brahms-Lieder, die wir auf unserer letzten gemeinsamen Fahrt ins Tessin gehört hatten. Nein, es ist nicht auszukommen, mit den Leuten …
Der Gotthard war aperto. Im Tessin war schon Frühling!
Ich war um sechs Uhr morgens bei Emil. Er hatte die Haare abgeschnitten. Ganz kurz. Grauenvoll. Und ein Piercing in der Nase. Noch grauenvoller.
Emil hatte inzwischen Zeitung gelesen und die Nachrichten gesehen. Er saß in seinem Zimmer, schlürfte mit zitternden Fingern einen heißen Früchtetee und war nicht in der Lage, mir eine vernünftige Antwort zu geben.
Längst hatte ich das Paulinchen geknutscht und gedrückt. Paulinchen lachte und gluckste und jubelte und schmiegte sich immer wieder an mich.
Sie machte nicht den Eindruck, als habe sie eine Sekunde lang Kummer gelitten. Sie hatte im Gegensatz zu Emil eine gesunde rotorange Farbe im Gesicht, war mindestens einen halben Zentimeter gewachsen und hatte schon wieder einen neuen Zahn.
»Wo ist Melanie?« Ich sah mich suchend um. Im Bett lag sie jedenfalls nicht.
»Abgefahren. Gestern Abend.«
»Und du hast von dem ganzen Drama hier gar nichts mitbekommen?«
Seine Finger umkrampften die Teetasse. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht merkte, dass er sich verbrühte.
»No, Mam.«
»Ja, hast du denn gar nicht ferngesehen oder Zeitung gelesen?«
»Nein. Melanie hatte ihre Computerspiele an den Fernseher angeschlossen.«
Ich wollte ihn so gern an mich drücken. Aber ich unterließ es tunlichst.
»Und warum hast du mich nicht angerufen?!«
»Hab ich ja versucht. Aber mein Handy war kaputt.«
»Zeig mal her.«
Das Handy war eindeutig leer. Es gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Ich fummelte ratlos daran herum.
»Ja, hast du’s denn nicht geladen?«
»Doch, Mam. Aber es fehlt, glaub ich, eine Karte drin.«
Da hatte doch nicht etwa jemand dran rummanipuliert? Kopfschüttelnd legte ich das Ding auf den Tisch.
»Ich hab dich so vermisst! Aber du bist nicht
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