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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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nicht etwa eine Kamera …? Ich wollte weglaufen. Aber man ließ mich nicht. Eingekeilt stand ich da und starrte auf den Monitor.
    Jetzt trat ich hinter Emil und blieb bewegungslos stehen.
    Mir wurde so heiß, dass ich dachte, auf glühenden Kohlen zu stehen. Sie hatten doch nicht … ALLES … gefilmt?
    »Ich habe noch nie Schnee gesehen«, sagte Emil laut und deutlich, ohne sich umzudrehen.
    »Doch«, sagte ich. »Hast du. Auf dem Jungfraujoch.«
    »Da war der ewige Schnee«, sagte Emil. »Aber ich habe noch nie gesehen, wie es schneit. Ich wusste nicht, dass Schneeflocken so langsam fallen.«
    Und dann kam wieder ich ins Bild.
    »Tja, Schätzchen«, sagte Oda-Gesine. »Jetzt hast du deinen Skandal.«
    Sie saß in ihrem Büro und lutschte an einem »Wört-Flört«-Lolly. Herr Bönninghausen stand an der Wand und betrachtete die Werbeposter von »Nesti-Schock«. Er drehte mir den Rücken zu.
    »Wo ist Emil?«, fragte ich tonlos. Meine Zunge schmeckte nach Pappe.
    »Tja, Schätzchen«, sagte Oda-Gesine. »Wenn wir das wüssten …«
    »Um Ihren … Boy … müssen Sie sich schon selber kümmern«, sagte Herr Bönninghausen, ohne sich umzudrehen.
    »Aber du hast doch selbst gesagt, ich solle ihn und Paulinchen hier lassen!« Ich sah Oda-Gesine durchdringend an. Dass sie in so einer Situation am Lolly lutschen konnte!
    Oda-Gesines Blusenknopf stand offen. Ihre Haare waren wirr und grau. Ihre Brille war so ungeputzt, dass ich daran zweifelte, dass sie noch irgendetwas sah.
    »Und wo ist Melanie?«
    »Ebenfalls verschwunden. Die Kids stecken ja immer zusammen …« Oda-Gesine betrachtete durch die Schlieren ihrer Brille meinen Gesichtsausdruck.
    »Seit wann sind die denn weg?«
    »So genau weiß das keiner, aber … seit Donnerstagabend etwa.«
    Aha. Das war mein Abend mit der Heino-Perücke in Wien.
    Als ich Jo durch puren Zufall in der Kantine des ORF traf.
    »Da muss dieser Jo dahinterstecken!«, sagte ich aufgeregt. »Ein Schmierfink von einem Wiener Boulevardblatt!«
    »Schätzchen! Das interessiert doch JETZT nicht!« Oda-Gesine warf den Lolly von sich. »Wichtig ist doch nur, dass wir das Lösegeld beschaffen konnten!«
    »ZEHN Millionen Mark?«
    »Ja. In Tausendern. Der Bönninghausen hat sich ein Bein ausgerissen, aber er hat’s zamm’bracht.«
    »Und das wollen Sie … Emil … geben?«
    Ich verstand das nicht. Das machte doch gar keinen Sinn.
    »Das wollen wir als Erstes mal in die Kamera halten«, sagte Herr Bönninghausen, ohne sich zu mir umzudrehen.
    »Haben wir ja schon«, ergänzte Oda-Gesine. »Seit drei Tagen machen wir nichts anderes, als die Knete in die Kamera zu halten. Damit der Entführer sieht, dass wir alles für dich tun. Alles!«
    »Und das Publikum auch«, ergänzte Herr Bönninghausen an der Wand.
    »Das Publikum interessiert doch jetzt überhaupt nicht!«, herrschte Oda-Gesine ihn an. »Jetzt interessiert doch nur, was wir für dich tun können, Schätzchen. Außer den zehn Millionen Mark, natürlich.«
    Ich starrte sie verständnislos an.
    »Brauchst du ein heißes Bad? Brauchst ein Bett? Willst was essen gehen?«, bohrte Oda-Gesine.
    »Nein danke«, sagte ich tonlos. »Ich will nach Hause.«

»Mami! Da bist du ja endlich! Wir haben dich vermisst!«
    »Ach, mein Katinkakind! Ich hab dich auch vermisst!«
    Ich sank mit meinem Töchterlein auf den Teppich, auf dem wir sonst immer mit Emil »Wielie walie« gespielt hatten. Wir umarmten uns und küssten uns und lachten und weinten gleichzeitig.
    Senta nahm mich in den Arm und presste mich an sich.
    Ohne ein Wort.
    Meine Großen zeigten allerdings bereits gefährliche Anzeichen der Entfremdung und Verwahrlosung. Sie hatten sich kaum für eine Begrüßung erhoben, und der ganze Entführungsscheiß, wie sie sich ausdrückten, interessierte sie sowieso nicht.
    »Nicht so laut!«, zischte mein Ältester, der gerade ein Fußballspiel im Fernsehen sah. »Könnt ihr euch nicht woanders unterhalten?«
    »Ey, Mama, immer frisst der die ganzen Chips, und ich krieg nichts!«, schrie mein Zweiter dazwischen.
    Aha, dachte ich. Alles wie immer. Die Kinder haben noch keinen seelischen Schaden genommen.
    Irgendwie hielt ich das Ganze immer noch für einen gigantischen PR-Gag. Was hatte Oda-Gesine ständig gesagt? Mir fehle ein richtiges kleines, schmutziges Skandälchen. Und das hatte ich ja nun geliefert. Sogar ein richtig großes schmutziges Skandälchen.
    Aber Paulinchen war wirklich weg. Es war kein Scherz. Bis Senta mir das klargemacht hatte,

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