Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
vergingen geschlagene zwei Stunden. Wir saßen fiebernd mit den Kindern im Wohnzimmer. Noch immer kein Lebenszeichen von Emil, Melanie und Paulinchen! Ich hatte bisher keine Minute geschlafen, konnte nichts essen und hatte Schüttelfrost. Die Kinder nervten, waren unzufrieden und wollten unterhalten werden. Selbst das Fernsehprogramm langweilte sie.
Senta zauberte ein paar Utensilien hervor. Katinkalein bastelte und schnitt mit einer stumpfen Schere. Ihre goldigen klebrigen Werke wollte sie alle an die Fensterscheiben pappen. Wir besorgten Mengen von Tesafilm und Uhu und ließen sie gewähren. Es war mir völlig egal, wohin sie ihre Schnipsel klebte. Meine Nerven lagen blank.
Längst glaubte ich nicht mehr an irgendeine dumme Intrige. Emil und Paulinchen war wirklich etwas passiert!
Was, wenn Emil selbst entführt worden war? Was, wenn Melanie wirklich Mitglied einer Jugendgang war? Was, wenn die Mafia dahintersteckte? ZEHN Millionen Mark! Das war eine WAHNSINNIGE SUMME!
Senta erzählte mir der Reihe nach, wie sich zu Hause alles abgespielt hatte. Sie hatte von der Entführung in den Morgennachrichten gehört, als sie die Kinder zur Schule fuhr. Dann hatte sie die Zeitung gelesen:
»Karla Stein, die umstrittene ›Wört-Flört‹-Moderatorin, beschäftigt seit ihrem Sendebeginn einen Südafrikaner, der ihr jüngstes Kind hüten soll. Sie selbst befindet sich laut Auskunft des SENDERS in einem Weiterbildungsseminar. Nun sind sowohl der farbige Babysitter als auch das Töchterchen verschwunden. Bis jetzt konnte Frau Stein noch nicht dazu befragt werden.«
»Farbiger Babysitter!«
»Das war die Zeitung von Freitag«, schnaufte Senta.
Sie reichte mir die Samstagsausgabe.
»Karla Stein weiß es noch nicht!« überschrieb man den immerhin dreispaltigen Artikel, der mich mit den flatternden Rebhühnern an der »Wört-Flört«-Wand zeigte.
Daneben war ein großes Foto von Paulinchen, wie sie seibernd und zahnlos grinsend an ihrem Hasen nagte.
Ich überflog den Artikel hastig, soweit das schmusebedürftige Katinkalein das zuließ. Nebenan lief eine Sportsendung im Fernsehen, und meine Großen schrien immer »Oh!« und »Scheiße!« und »Mann, ey!« in meine Gedanken hinein.
»Während die Polizei fieberhaft nach dem verschwundenen kleinen Mädchen und nach deren mutmaßlichem Entführer Emil v. d. W. fahndet, besucht die Moderatorin Karla Stein, die Exfrau des Dirigenten und Komponisten Paul Stein, ein Weiterbildungsseminar. Bis jetzt hat sie sich noch nicht gemeldet und konnte auch nicht auf gefunden werden.«
Aber das war doch nicht wahr! Oda-Gesine hatte mich doch selbst zu diesem Lauftraining geschickt! Sie wusste doch genau, wo ich steckte! Immerhin. Das war ja noch eine halbwegs sachliche Meldung.
Ein Kölner Boulevardblatt schrieb dagegen:
»›Sie geht nicht ans Handy‹ kommentiert die völlig aufgelöste Schwester der umstrittenen Moderatorin. Senta K., die zurzeit das Haus und die drei älteren Kinder hütet, exklusiv zu ›express‹: ›Meine Schwester hat ihren Familiensinn verloren. Sie hetzt nur ihren Einschaltquoten nach. Sie versucht, wieder jung zu sein. Deshalb auch die Liebesbeziehung zu dem Knaben. Sie hat sich schrecklich verändert!‹«
»Senta!«, schrie ich verzweifelt. »Das hast du doch nicht wirklich gesagt?!«
»Nein!« Senta war ganz echauffiert. »So hab ich das nie gesagt! Aber ich hätte nie gedacht, dass sie einem so das Wort im Munde verdrehen!«
»O doch«, schnaufte ich, »das tun sie.«
»Könnt ihr nicht was leiser sein!«, schrie Karl aus dem Nebenzimmer. »Das nervt total!«
»Früher hätte ich ihn gehauen«, sagte ich. »Aber der Junge ist ja völlig verstört.«
»Nee«, sagte Senta. »Mütter, die ständig weg sind, sollten ihr Kind nicht hauen.«
Ich streckte die Hand aus nach der »Sonntagszeitung«:
»KARLA STEIN HATTE VERHÄLTNIS MIT NEGER!« titelte das freundliche Blatt. »Nach wie vor ist das Baby von Karla Stein nicht aufzufinden. Die vierzigjährige Moderatorin, die eine Jugend-Kult-Sendung moderiert, hatte eine Liebesbeziehung zu dem halb so alten südafrikanischen Au-pair-Jungen. Wie uns unser Wiener Korrespondent mitteilte, existiert sogar ein privates Video von dem Schmuddelverhältnis. Senta K., die Schwester der Stein, zur ›Sonntagszeitung‹« …
»O Senta«, sagte ich. »Du hast doch nicht mit der ›Sonntagszeitung‹ gesprochen …?«
»Musste ich doch!«, sagte Senta. »Sonst schreiben die ja, was sie wollen!«
»Leiser!«,
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